Kultur

Götz Schulte in der Rolle des ehemaligen KZ-Kommandanten Rudolf Höller. (Foto: Pohlmann)

06.05.2016

Im Bunker der verborgenen Lüste

Thomas Bernhards „Vor dem Ruhestand“ am Residenztheater zwischen Fetisch-Party und Sadomaso-Farce

Die Schauspieler liegen auf der Bühne, ehe es losgeht. Wenn’s dann dunkel wird, erheben sich diese drei grauen Gestalten und klopfen Wolken von Staub aus ihren Gewändern. Dann verschwinden die Zombies nach hinten, und aus dem Lautsprecher gellen ganz aktuell die Geister der Gestrigen: Aufnahmen eines Redners von einer Leipziger Pegida-Demo. So aufgesetzt diese Zeigefinger-Geste wirkt, das was folgt, ist eine Überraschung: Tina Lanik entfesselt am Münchner Residenztheater mit Thomas Bernhards Altnazi-Groteske Vor dem Ruhestand (1979) eine politische Walpurgisnacht. Obwohl die Bernhard’sche Kunst-Sprache zum psychologischen Realismus deformiert und ihr Irrsinn ganz in Gesten und Handlung übersetzt wurde, gelingt der Regisseurin ein dichter Abend. Ein grelles Spiel zwischen Komik und Erschrecken, das direkt in den Keller der „deutschen Seele“ führt, wo das Nazi-Gedankengut eingemottet ist. Dazu hat Bühnenbildner Maximilian Lindner eine Art Keller gebaut, eine schmale Fläche am vorderen Bühnenrand zwischen schwarzen Eisenwänden. Links führt eine Leiter hinauf aus dem Bunker der verborgenen Lüste, in dem der einstige KZ-Kommandant Rudolf Höller, der im Nachkriegsdeutschland Karriere gemacht hat, mit seinen beiden Schwestern wie jedes Jahr den Geburtstag des SS-Chefs Heinrich Himmler feiert.

Hascherl und Megäre

In schweren Truhen ist die Vergangenheit versteckt, die einmal im Jahr hervorgeholt wird. Oder sind sie nur Spielzeuge eines perversen Trios, diese SS-Uniformen, KZ-Jacken, BDM-Kleidchen und Himmler-Bilder? Ist es bloß ein geschmacklos-frivoles Rollenspiel, was die drei Nostalgiker treiben? Gundi Ellert ist als Inzest-Schwester Vera eine grandiose Mischung aus Hascherl und Megäre. Charlotte Schwab als ihre querschnittsgelähmte Schwester Clara lässt in ihrem höhnischen Lachen die gleiche Verrücktheit flackern, die im Treiben ihrer Nazi-Geschwister waltet, mit denen sie, die Sozialistin, die „Nazis raus“ an die Wand sprüht, in Abhängigkeit und Hass verbunden ist. Den Rudolf Höller gibt Götz Schulte als Zwischenwesen aus Beamtenseele und Berserker, als unberechenbaren Borderline-Biedermann am Rande des Herzanfalls, der schließlich die Pistole zückt und das Gefühl der Macht über Leben und Tod auskostet.
Das Ergebnis ist ein Zwischending aus Fetisch-Party und Sadomaso-Farce, das sich zum obszönen Nazi-Bacchanal steigert, zum hysterischen Hexensabbat, in dem das Politische mit dem Psychotischen untrennbar verschmilzt. (Alexander Altmann)

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