Kultur

Jonas Kaufmann und Anja Harteros in der Rolle des tragischen Liebespaars Tristan und Isolde. (Foto: Wilfried Hösl)

02.07.2021

Im Endzeit-Taumel

Zum Schluss seiner Münchner Intendanz holt Nikolaus Bachler sein Traumpaar der Oper, Jonas Kaufmann und Anja Harteros, für „Tristan und Isolde“

Das muss man Nikolaus Bachler lassen: Was er will, setzt er in aller Regel durch. Damit hat der Münchner Staatsopernintendant schon manchen Coup gelandet – so auch jetzt wieder. Während der Pandemie waren noch nie so viele Besucher*innen im Münchner Nationaltheater zugelassen wie zur Premiere von Richard Wagners Tristan und Isolde. Wer im Publikum saß, musste Maske tragen und sich gegebenenfalls auch wieder testen lassen. Denn diesmal gab es erstmals zwei Pausen mit Bewirtung. Die Bayerische Staatsoper genießt eben einen Sonderstatus. Für andere Häuser sieht es schlechter aus.

Mit der Neuproduktion wurden nicht nur die diesjährigen Münchner Opernfestspiele eröffnet. Auch der Endspurt von Bachler als Noch-Intendant am Nationaltheater wurde mit ihr eingeläutet. Hierfür hat Bachler seine allerschwersten Geschütze aufgefahren: Jonas Kaufmann und Anja Harteros. Vor über zehn Jahren hat sie Bachler in München als „Traumpaar der Oper“ etabliert. Jetzt gestalten sie Tristan und Isolde. Es waren gleichzeitig ihre lange erwarteten Debüts in diesen Titelpartien.

Erholte Stimme

Die coronabedingte Zwangspause haben beide offenbar gut genutzt. Vor Beginn der Pandemie wirkte vor allem die Stimme von Kaufmann etwas verbraucht. Bei ihrem Bayreuth-Debüt im Sommer 2018 sang zudem auch Harteros die Elsa aus Lohengrin stellenweise irritierend angestrengt. Kaufmann hat die Pandemie auch dazu genutzt, sein ursprünglich für die nächste Saison geplantes Sabbatical vorzuziehen. Genau diese Auszeit hört man seiner Stimme an. Bei der Premiere wirkte seine Stimme aber im letzten Aufzug in Höhen mitunter ähnlich brüchig wie beim zarten Piano. Diese Erschöpfung fing Kaufmann dramaturgisch gekonnt auf.

In der Regie von Krzysztof Warlikowski wirken Tristan und Isolde mehr wie Gehemmte; bis zum Schluss enthemmen sie sich nur zögerlich. Hier knüpft Kaufmann an, um stimmliche Grenzen in ein stimmiges Rollenporträt einzubauen.

Es war trotzdem Anja Harteros, die an seiner Seite eine glücklichere Figur machte: in der Höhe sicher, im Piano sehr lyrisch. An die ungeheuer stimmliche Präsenz von Okka von der Damerau als Isoldes Dienerin Brangäne kam allerdings auch Harteros nicht heran (mehr solide zudem Mika Kares als König Marke und Wolfgang Koch als Kurwenal). Die Mezzosopranistin schaffte es mühelos, sich im orchestralen Überschwang zu behaupten.

Davon machte Kirill Petrenko mit dem Bayerischen Staatsorchester durchaus viel Gebrauch. Ob seine Leitung in allen Momenten Rücksicht nahm auf Harteros und vor allem Kaufmann, darüber ließ sich im ersten Aufzug streiten. Sonst aber gelang Petrenko eine stupende, glasklare Durchhörbarkeit. Das gilt nicht nur für die kammermusikalischen Reduktionen, sondern gerade für den tiefsten Sog und Rausch.

Wie Aliens beim Abendmahl

Die Inszenierung von Warlikowski hat hiervon profitiert. Für sie hat Malgorzata Szczsniak ein Einheitsbild geschaffen, das einen Raum mit hohen Holzwänden zeigt. Ein Ufo wäre wohl konsequenter gewesen, denn schon im Vorspiel geistern zwei stumme Doubles über die Bühne, die für Tristan und Isolde stehen. Mit ihren großen, kahlen Köpfen sehen sie wie Aliens aus. Im Schlussakt stehen und sitzen noch mehr von ihnen an einer langen Tafel. Das sah aus wie im Abendmahl von Leonardo da Vinci.

Das Video von Kamil Polak führt vor allem durch die Burg Markes. Eine Filmsequenz zeigt Tristan und Isolde auf einem Bett, sich an den Händen haltend, während sie allmählich im Wasser ertrinken. Das erinnert wiederum an eine Szene aus dem Film Titanic von James Cameron. Was das alles soll, bleibt gänzlich offen.

Natürlich ist diese Oper nicht einfach zu inszenieren. Nach Lars von Triers Filmepos Melancholia (2011), das musikalisch auf Tristan und Isolde fußt, ist auch der Weltuntergang als Sinnbild für eine tiefe Depression längst durchgekaut. Es drängt sich allmählich der Eindruck auf, dass der einst so vielversprechende Warlikowski in einer schöpferischen Krise steckt. In seinem Fall scheint Corona die Krise noch beschleunigt zu haben. (Marco Frei)

 

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