Kultur

Ein wichtiges Datum, zu dem Hans Posse eine Fotografie in sein ebenfalls im Deutschen Kunstarchiv verwahrtes Diensttagebuch (Ausschnitt) legte: Am 18. Juni 1938 besuchte Adolf Hitler die Dresdner Gemäldegalerie. Im Vordergrund sieht man Martin Bormann neben Hitler; Hans Posse ganz links hinter Hitler. (Foto: GNM/Deutsches Kunstarchiv)

30.08.2019

Indizien zu Kunstraubzügen

Das Deutsche Kunstarchiv in Nürnberg ediert die Reisetagebücher von Hans Posse, der als Sonderbeauftragter Hitlers unterwegs war

Nein, wie Goethes Tagebuch von seiner Reise durch Italien liest sich das wahrhaftig nicht, was Hans Posse aus Dresden in fünf schmalen Heften und auf insgesamt 500 beschriebenen Seiten verfasst hat. Aber es ist ebenfalls ein Reisetagebuch aus der Zeit von Juli 1939 bis Dezember 1942. Damals war der 1879 in Dresden geborene Posse schon 29 Jahre lang Leiter der Dresdner Gemäldesammlung, und von da an hat ihn Adolf Hitler auf Reisen geschickt: Um Kunst zu sammeln, zu kaufen, besonders aber zu requirieren – zuerst in Polen, dann in den Niederlanden, in Frankreich, in den besetzten Gebieten also. Es ging um Kunst für Hitlers persönliche Sammlung, besonders aber für das geplante (aber nie verwirklichte) Führermuseum in Linz.

Von diesen Dienstreisen, die er im Führerauftrag unternommen hat, hat Posse alles notiert: oft nur stichpunktartig, schwer zu entziffern, in Notizbüchern aus dem Schreibwarenladen, zwischen 80 und 180 Seiten dick. Diese Aufzeichnungen sind ein faszinierendes Forschungsobjekt des Deutschen Kunstarchivs, ein digital aufbereiteter Wissensschatz. Gefördert wird das Projekt vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste.

Wichtige Online-Edition

Hans Posse war solide akademisch ausgebildet in Marburg und Wien, hatte als Spezialgebiet die italienische Malerei des 17./18. Jahrhunderts. Später volontierte er in Berlin und wirkte 1930 bei der Biennale in Venedig. Er hatte also eine „große Expertise“, meinen Susanna Brogi, die Leiterin des Deutschen Kunstarchivs im Germanischen Nationalmuseum (GNM) Nürnberg, und die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen an diesem Projekt, Juliane Hamisch und Frederike Uhl. Auch Birgit Schwarz arbeitet von Wien aus mit, und wenn man sich über Posse insgesamt informieren will, ist man in ihren beiden Büchern Auf Befehl des Führers. Hitler und der NS-Kunstraub oder Hitlers Sonderauftrag Ostmark bestens aufgehoben.

Ein weiteres Buch soll aus dem Forschungsprojekt am GNM nicht werden. Denn „erzählt“ wird auf den 500 Tagebuchseiten eigentlich nichts. Aber die „kommentierte Online-Edition“, deren erster „Band“ (also das erste Reisetagebuch) seit Mai im Internet verfügbar ist, ist ein immenser Informationsschatz.

Jede Seite ist im Faksimile sichtbar, ist daneben in Druckschrift transkribiert und enthält Links zu sämtlichen Angaben, Orten, Namen, Kunstwerken, mit denen es Posse zu tun hatte und die er im Tagebuch erwähnt. Es gibt auch Verzeichnisse von diesen Daten, mit denen man sich in das Tagebuch zurückklicken kann. Man entdeckt Karten mit den Orten, wo Posse war – eine immense Detailarbeit.

Natürlich will man zuerst wissen, wie Posse überhaupt zu Hitler kam. Schon da taucht man mit Susanna Brogi ein in das Netzwerk von Kunst und Kunsthandel Anfang der Dreißigerjahre, lernt den Galeristen Karl Haberstock in Berlin kennen, der schon 1933 mit Hitler für dessen Privatsammlung zusammengearbeitet hat.

Nützliche Beziehungen

Man erfährt, dass Hans Posse zwar eine Mitgliedschaft in der NSDAP beantragt hat, seine Nazi-Gegner in Dresden (Museum, Stadtverwaltung) ihm diese aber verweigert haben. Hitler hat sie auch gar nicht verlangt: Ihm war die ausgewiesene Kennerschaft, waren die internationalen Beziehungen Posses viel wichtiger. In dessen „Diensttagebuch“ ist das Foto eingeklebt, das Hitler, Martin Bormann und ganz links Hans Posse zeigt, wie sie die Treppe des Dresdner Museums gemeinsam herunterschreiten.

So blieb Posse Museumsleiter, wurde aber zusätzlich Hitlers Sonderbeauftragter – von einer zusätzlichen Besoldung ist in den Archivalien keine Rede. Aber in den Reisetagebüchern wird deutlich, dass Posse luxuriös reisen, in besten Hotels übernachten durfte und eine Sammlung zusammentragen sollte, wie es einem Museumsdirektor nie möglich gewesen wäre: Besonders aus den annektierten Ländern kam nur das Beste und Feinste. Die Museen im Reich und in der „Ostmark“ haben neben Hitler auch Posse wissen lassen, was sie für ihre Sammlungen gerne hätten (es liegt auch eine Anfrage des GNM vor).

Das Kunstgut wanderte in der Regel nach Dresden (später auch nach Wien), wurde dort analysiert und kanalisiert, manches mag auch dort hängen geblieben sein.

Bei allen Versuchungen: Hans Posse blieb ein treuer Staatsbeamter, hat sich nie persönlich bereichert – selbst seine Frau hat er nie auf Reisen mitgenommen. Ein persönlicher Vorteil immerhin: Der zunehmend krebskranke Posse wurde von Hitlers Ärzten behandelt. Von solchen Terminen gibt ein zusätzliches kleines Notizbüchlein Auskunft.

Posses Reisetagebücher würde man in Dresdner Archiven vermuten – wie kamen sie ins Deutsche Kunstarchiv? Von Susanna Brogi hört man eine komplizierte Geschichte von diversen Witwen, gerichtlichen Streitigkeiten nach dem Krieg, der Kunstsammlung Augsburg – schließlich hat das GNM nach langen Bemühungen Posses Reisetagebücher für das damalige „Archiv für bildende Kunst“ bekommen.

In Zeiten der Provenienz- und Restitutionsforschung sind Posses Tagebücher in den Fokus der Wissenschaft gerückt. Die Online-Edition soll mit ihren dichten und detaillierten Angaben die Forschung auf diesen Gebieten fördern.

Es braucht viel Zeit und Geduld, um sich in den Bleistift-Notaten zurechtzufinden. Eine beliebige Seite zum Beispiel: Posses Reise von Dresden nach München, wo er die dritte „Große Kunstausstellung“ im Haus der Deutschen Kunst besichtigen wollte, daran schloss sich die Weiterfahrt nach Österreich und Italien an. Eine ganze Tagebuchseite erzählt voller Einzelheiten von der Reisekostenabrechnung eines deutschen Beamten: Da hat Posse für 2,50 Reichsmark (RM) zu Mittag gegessen, abends 5,50 RM ausgegeben und musste sich für 1 RM sogar eine Eintrittskarte für die Kunstausstellung kaufen. Wer aber ist „Theo“, für den er 2,20 RM ausgegeben hat?

Kalte Maschinerie

Das mag ganz unterhaltsam klingen, ernst wird die Sache aber ab November 1939. Da ist Posse in Polen und hat sich in den berühmten Kunstsammlungen informiert (auch über Kirchenschätze). Auch darüber, was nach den Angriffen überhaupt noch vorhanden war. Die ersten Sammelstätten wurden eingerichtet, in Krakau schon die ersten Kisten mit Raubgut ausgepackt.

Was Susanna Brogi in den weiteren Notizbüchern am meisten erschüttert: Auch im besetzten Polen, aus dem inzwischen schon eine halbe Million Kriegsgefangene und Zivilisten ins Reich deportiert worden waren, spürt man in Posses Reisetagebüchern keinerlei persönliche Betroffenheit – eine „kalte Maschinerie“.

Die Tagebücher sind eine nüchterne Faktensammlung von Personen, Kunstwerken, Hinweisen auf seine zukünftige Arbeit. Ohne ideologischen Hintergrund schien er völlig auf seine Arbeit fokussiert – wusste aber genau, was militärisch vor sich ging. Über die Fortschritte seiner Arbeit hat er immer wieder Martin Bormann und regelmäßig Adolf Hitler informiert, mit dem Berliner Galeristen Haberstock hatte er schon eine provisorische Ausstellung aufgebaut.

Aus dem unerschöpflichen Sonderetat für das Führermuseum Linz hat Posse in dieser Zeit auch immer wieder Ankäufe getätigt. Im verbündeten und befreundeten Italien gab es ein Sonderkonto dafür bei der Deutschen Botschaft. Preise, Angebote, Kunstwerke werden auch in den Tagebüchern erwähnt. Das wird man nachlesen können, wenn die Edition des zweiten Reisetagebuchs erscheint. Inzwischen ist das Team im Deutschen Kunstarchiv schon bei Nummer vier. Durch die Anlage der Online-Edition sind Nachträge zu früheren Tagebüchern möglich: „Das ideale Medium“, sagt Juliane Hamisch. Außerdem wird es am 18./19. Oktober 2019 auch ein Symposium über Posses Netzwerke geben. (Uwe Mitsching)

Information: www.editionhansposse.gnm.de

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