Kultur

Installationsansicht „Ruinenwert“ von Henrike Naumann. (Foto: Conolly Weber)

10.01.2020

Irritierende Gemütlichkeit

Die Ausstellung „Innenleben“ im Münchner Haus der Kunst zeigt, wie das Draußen das Drinnen beeinflusst

Wenn draußen ein schärferer Wind weht, zieht sich der Mensch gerne in seine vier Wände zurück. Das gilt auch im übertragenen, politischen Sinn. Insofern könnte es ein ironischer Reflex auf die aktuelle biedermeierliche Tendenz zum Cocooning sein, wenn das Münchner Haus der Kunst eine Ausstellung über Interieurs in der Gegenwartskunst präsentiert.

Dass uns dabei ein Licht aufgehen soll, deutet Leonor Antunes im Stiegenhaus an: Die portugiesische Künstlerin lässt Leuchten, die in rätselhafte Treppenobjekte aus Glas integriert sind, von der Decke hängen.

Drastisch übertrieben

Natürlich will diese Schau zeigen, dass das Drinnen vom Draußen mitbestimmt wird, dass die intime Wohnsphäre zumindest indirekt als Spiegel gesellschaftlicher Realitäten fungiert, kurz, dass das Private politisch ist, wie die abgenutzte Floskel dafür lautet. Besonders erschreckend, aber in der drastischen Übertreibung auch wieder komisch gebrochen, macht das Adriana Varejão deutlich. Die brasilianische Künstlerin hat ruinenhafte Mauerfragmente gebaut, deren aufgemalte Fliesen bersten oder abbrechen, um darunter, in der Wand, ein blutig-rotes Gekröse aus Fleisch und Innereien sichtbar werden zu lassen.

Weniger offenkundig, sondern furchtbar untergründig-dräuend kommt der Gruseleffekt hingegen in Henrike Naumanns Rauminstallation daher, die damit fast etwas zu prätentiös und bedeutungsheischend ausfällt. Die gefeierte Berlinerin hat zwecks einer ideologiegeschichtlichen Tiefenbohrung am Design die „Nazi-Möbel“ aus dem Archiv des Hauses der Kunst geholt und zusammen mit ausrangierten Möbeln sowie Wohnaccessoires aus wesentlich jüngerer Zeit zu einem wüsten Trautes-Heim-Ensemble arrangiert. Da finden sich rustikale Eichentische vereint mit schrägen Popsofas, lila gefleckten Plüschkühen oder verranzten Beistelltischen der Nobeldisco aus dem Keller des Hauses.

Angesichts dieser geballten Geschmacksverirrungen ist man fast froh um die so bequem wie unverbindlich eingerichteten Wohnräume, die Njideka Akunyili Crosby auf ihren großformatigen Mischtechniken aus Malerei, Grafik und Collage abbildet. Die gebürtige Nigerianerin, die in den USA lebt, spielt nicht nur mit der Penetranz des Dekorativen. Genauso wichtig ist, dass ihre spießigen, gemusterten Interieurs wie aus dem Möbelprospekt von schwarzen Bewohnern mit Schlips und Anzug bevölkert sind: Figuren, die nach unseren gängigen Stereotypen kaum zu dieser Schöner-Wohnen-Welt gehören, weil wir uns nicht vorstellen können, dass Afrikaner auch normale Kleinbürger wie du und ich sind, sobald sie unter ähnlichen ökonomischen Bedingungen leben wie wir. Nicht ohne Grund bleibt folglich das Dritte-Welt-Klischee, das so abwegig ja auch nicht ist, in den Bildern dieser Künstlerin präsent: kleine, kopierte Fotos, die diesem Klischee entsprechen, dienen, eng aneinandergereiht, als Vorhang-, Teppich- oder Stoffmuster, womit sie quasi die Allgegenwart eines „ikonischen Unbewussten“ beleuchten. Und das wirkt ganz erhellend. (Alexander Altmann)

Information: Bis 29. März 2020. Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1, 80538 München. Mo. bis So. 10-20 Uhr, Do. 10-22 Uhr.

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