Kultur

Was Frau nicht alles kann: Schön Klavier spielen und auch noch Neonröhren austauschen. Szene mit Daniele Pintaudi, Steffen Höld und Elias Eilinghoff. (Foto: Sandra Then)

13.12.2019

Jenseits von Popo und Pipi

Hinreißend versponnen: „Leonce und Lena“ im Münchner Residenztheater

Endlich hat uns der neue Residenztheater-Intendant Andreas Beck mal eine Delikatesse mitgebracht aus Basel, wo diese Inszenierung von Georg Büchners Leonce und Lena vor zwei Jahren herauskam. Dass sie bei der München-Premiere mit Jubel und Buhs begrüßt wurde, spricht in diesem Fall für ihre Qualität.
Wobei sich anfangs kaum sagen lässt, wer da aus dem Lande Popo stammt und wer aus dem Reich Pipi (wie die Schauplätze hier heißen). Denn die Rollen der sechs Akteure, die auf der Bühne somnambul herumfuhrwerken, kristallisieren sich erst im Laufe des Abends vage heraus. Es ist schließlich eine ziemlich freie Adaption von Büchners Lustspiel, die uns der Schweizer Theaterzauberer Thom Luz präsentiert. Oder besser gesagt: in die er uns entführt wie in ein rätselhaftes Zwischenreich weit jenseits von Popo und Pipi.

Wie Automatenmenschen

Der große, weiße Bühnenraum mit Stuckresten an den fleckigen Wänden könnte ein abgewracktes Museum sein. Ein langer, dürrer Mensch – halb Faktotum, halb Maestro – flattert mit wehenden Frackschößen zwischen zwei Klavieren hin und her, um mal da, mal dort eine Melodie anzuschlagen, die sich als Strauß-Walzer entpuppt. Dann bricht ein Gewitter los, Donner grollt, Regen rauscht, rechts am Fenster erheischen Leute Einlass und klettern triefend ins Zimmer: die Damen mit gespreizten Zeitlupenbewegungen, die Herren in Operetten-Uniformen voller Orden und Schärpen. Dazu spielt hinten eine schöne Frau am Klavier immer wieder die gleichen Gassenhauer, und wenn sie aufhört, muss man eine Münze einwerfen, schon klimpert sie weiter.

Agieren hier also Automatenmenschen, mechanische Puppen, wie sie bei Büchner in einer Szene ja vorkommen? Oder sind es vielleicht doch eher Patienten in einer Irrenanstalt, was schon deshalb passen würde, weil der Autor die fürstlichen Herrschaften in seinem Stück eben als durchgeknallte Mischpoke karikiert?

Alles, was man da sieht, trägt auch deutliche Züge einer Traumszenerie und kommt einem wunderbar unwirklich vor. Ganz leichter Nebel liegt in der Luft, breitet sich bis ins Publikum aus, doch ehe die Stimmung zu deutlich ins Jenseitige kippt, gibt es immer wieder valentineske Momente. Etwa wenn eine riesige Leiter angeschleppt und von der armen Pianistin in Stöckelschuhen erklommen wird, um eine Neonröhre auszuwechseln, während ihr zwei Männer von unten gute Ratschläge geben. Zwischendurch fällt das Licht auch mal ganz aus, sodass bei hochromantischem Kerzenschein Klavier gespielt werden muss. Eine Schuhputzmaschine surrt los, deren Borsten einer Geige Töne abtrotzen. Und plötzlich wird auch noch überraschend viel Büchner-Text gesprochen, ganz originalgetreu.

Kurzum, was man hier erlebt, ist eine betörende, surreale Collage aus Worten, Gesten, Bildern und Musik; ein hinreißend versponnener Abend voll zart flirrender Komik und entrückter Wehmut. Dass Thom Luz’ poetisch schwebende Büchner-Bastelei dabei virtuos zwischen Un- und Tiefsinn balanciert, liegt natürlich auch an den zu Herzen gehenden Hits von Mozart bis Millöcker, die diese Inszenierung atmosphärisch tragen. (Alexander Altmann)

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