Kultur

1931 brannte in nur wenigen Stunden das Glas-Gusseisen-Ausstellungsgebäude aus. (Foto: Zentralinstitut für Kunstgeschichte)

09.08.2024

Kann KI bei der Rekonstruktion helfen?

Katastrophaler Verlust: Als 1931 ein Feuer den Münchner Glaspalast zerstörte, verbrannten auch 3000 Bilder

Ein Wahrzeichen Münchens und viele Kunstwerke gingen binnen weniger Stunden verloren: 1931 brannte der Glaspalast. Das Zentralinstitut für Kunstgeschichte erinnert mit einem interdisziplinären Workshop an die Tragödie. Im Raum steht die Frage: Lassen sich mit KI die Kunstverluste digital rekonstruieren?

In Thomas Manns Novelle Gladius Dei (1902) heißt es: „München leuchtete.“ Manns Narrativ über den Niedergang der Kunststadt München endet in einer apokalyptischen Vision aus Feuersbrunst und Bilderzerstörung. Mit Blick auf den Münchner Glaspalastbrand 1931 liest sich das wie eine düstere Prophezeiung. Der Großbrand des Ausstellungshauses auf dem Gelände des damaligen Königlichen Botanischen Gartens gegenüber dem neuen Justizpalast markiert eine „Zeitenwende“, so die Historikerin Brigitte Zuber. Er diente den Nazis als „Brandbeschleuniger ihrer Kunstpolitik“ und hatte Folgen, die weit in die Geschichte des 20. Jahrhunderts reichen.

Das staatliche Gebäude, dessen Brandversicherung im Jahr 1931 erstmals nicht mehr verlängert worden war, wurde nicht wieder aufgebaut. Stattdessen entstand 1937 am Eingang des Englischen Gartens das „Haus der deutschen Kunst“ – und Kunst war nicht mehr autonom, sondern ein Instrument der Staatspropaganda, völkisch national und rassenideologisch auf Kurs gebracht.

Umfassend analysiert

Franziska Lampe, Matilde Cartolari und Christian Fuhrmeister von Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI) haben dazu aufgerufen, sich anlässlich eines im Jubiläumsjahr zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich stattfindenden Workshops dem Thema „Der Brand im Münchner Glaspalast 1931. Folgen und Narrative des Verlusts“ zu widmen. Das mit 15 Impulsreferaten breit abgedeckte Themenspektrum berührte die Bereiche Gartenkunst, Architektur, Ausstellungen, Kunst und Medien ebenso wie Zeitgeschichte, Politik, Verlagswesen und Versicherungen.

Das ZI hat ein Gespür für neue Themenfelder, selbst an Orten, die ikonisch geworden sind wie der Münchner Glaspalast, der vor 170 Jahren nach nur neun Monaten Bauzeit vollendet wurde – nur drei Jahre nach dem als Vorbild dienenden Londoner Crystal Palace, der 1936 ebenfalls abbrannte. Die Kunsthistorikerin Matilde Cartolari verweist in diesem Zusammenhang auf weitere Feuersbrünste, durch die ebenfalls Artefakte verloren gingen: 1871 im Louvre, 1910 auf der Weltausstellung in Brüssel, 1931 auf der Pariser Kolonialausstellung.

Der Münchner Glas-Eisen-Bau galt als „unbrennbar“, doch entsprach er nicht dem neuesten Stand der Technik um 1900: Er besaß weder eine Heizung noch Beleuchtung oder einen Stromanschluss. In den frühen Morgenstunden des 6. Juni 1931 brannte er in nur wenigen Stunden vollständig aus. Ob Brandstiftung oder Selbstentzündung durch herumliegende, mit Farbe und Terpentin getränkte Stofflappen die Ursache waren, bleibt bis heute ungeklärt.

Nur noch ein Gerippe

Die Nachricht von seiner Zerstörung verbreitete sich wie ein Lauffeuer, das Presseecho war groß. Der in der Nähe wohnende Schriftsteller Eugen Roth, der von 1927 bis zu seiner Entlassung 1933 durch die Nationalsozialisten Korrespondent der Münchner Neuesten Nachrichten war, eilte als einer der Ersten zur Unglücksstelle und fotografierte dort mit seiner Leica-Kamera. Seine bebilderte Reportage erschien als Aufmacher in der Frühausgabe der Zeitung am nächsten Tag. „Halb vier Uhr stehen wir auf der Straße, hundert Schritte von der Unglücksstätte. Funken, Asche, Rußflocken regnen, Feuerschein loht mächtig [ …] Der ganze Glaspalast steht in Flammen. Schwarzes Gestänge wie das Gerüst zu einem halb abgebrannten Feuerwerk. […] Ausgebrannt noch da und dort ein phantastisch hoher, schwankender Eisenpfosten, ein Stück Gerippe. In der Mitte die Türrahmen des Haupteinganges, um die noch, welk und halbversenkt, der Lorbeer steht, der gestern noch deutscher Kunst galt.“

Dem verheerenden Brand fielen mit dem Gebäude auch die darin gezeigten rund 3000 Kunstwerke zum Opfer, darunter 110 Meisterwerke der aktuellen Sonderausstellung Werke deutscher Romantiker von Caspar David Friedrich bis Moritz von Schwind, die nicht wie geplant fünf Monate, sondern nur fünf Tage stattfand. Die aus dem Feuer geretteten rund 80 Bilder und Plastiken, darunter Auguste Rodins Mann mit gebrochener Nase, wurden anschließend im Bibliotheksneubau des Deutschen Museums gezeigt.

Hilfreiches Verlagsarchiv

Eine treffliche Koinzidenz: Das erst unlängst wiederentdeckte und dem ZI überlassene Bruckmann-Archiv enthält eine Vielzahl von Quellenmaterial zum Glaspalast. Besondere Aufmerksamkeit verdient der vom Verlag als Ausstellungskatalog geplante, aber durch die Vernichtung der Meisterwerke unter dem Titel Die verlorenen Meisterwerke deutscher Romantiker umgewidmete „Inmemoriam“-Band. Herausgeber war der Kunsthistoriker Georg Jacob Wolf, ein Kenner seines Faches und mitverantwortlich für den Erwerb wichtiger Ausstellungsleihgaben aus Hamburg, Berlin, Darmstadt, Heidelberg und Dresden. Der Prachtband mit Lederrücken und qualitativ hochwertigen Fotoreproduktionen (Heliogravüren) war ebenso wie die mit Fotos bestückte preisgünstigere „Volksausgabe“ ein Beitrag zur Glaspalast-Künstlerhilfe, adressiert an alle Künstler*innen, deren Werke, im Unterschied zu den aus öffentlichen Sammlungen geliehenen Meisterwerken der Romantik, nicht versichert waren.

Wie bereits 2012 in der Ausstellung Der Münchner Glaspalast (1854–1931). Glanz und Untergang präsentierte Quellen im Bayerischen Hauptstaatsarchiv belegen, wurde noch am Tag des Brandes in einem vom Gesamtministerium sowie von Vertretern der Stadtverwaltung und der Künstlerschaft München unterzeichneten Aufruf eine allgemeine Sammlung zugunsten der geschädigten rund 1000 Künstlerinnen und Künstler angeregt. Bald danach etablierte sich die Aktion als eingetragener Verein unter dem Namen GlaspalastKünstlerhilfe e.V. Insgesamt wurden bis 1935 Spenden in Höhe von 400 000 Reichsmark eingesammelt, wovon ein Teil auch in einen Unterstützungsfonds floss.

Rekonstruktion fraglich

Heute fragt man sich angesichts der aktuellen technischen Möglichkeiten: Kann auf künstliche Intelligenz gestützte Bildgenerierung ein Werkzeug zur digitalen Rekonstruktion von vermissten oder zerstörten Kunstwerken sein? Remakes am Beispiel von Gemälden Caspar David Friedrichs, für die Rechenprogramme mit Dateninputs wie Bildbeschreibungen oder Schwarz-Weiß-Fotos gefüttert werden, haben bislang noch „keine wissenschaftliche Belastbarkeit“, räumt Jacob Franke von der Universität Jena ein.

Der interdisziplinäre Wissenstransfer während dieses Workshops im ZI hat gezeigt, dass der Forscherdrang hier längst noch nicht gestillt ist. Bis zum 100. Gedenktag an die Zerstörung des Glaspalasts, des ehemaligen Wahrzeichens Münchens (so Eugen Roth), ist dafür ja noch Zeit. (Angelika Irgens-Defregger)

Abbildung: Binnen eines Dreivierteljahrs wurde 1854 der Münchner Glaspalast fertiggestellt. Die Fotografie von Carl Teufel zeigt ihn um 1880/90. (Foto: Zentralinstitut für Kunstgeschichte)

 

 

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.