Kultur

Skurrile Maskerade: Hassan Akkouch, Christian Löber, Walter Hess spielen drei Schwestern. (Foto: Judith Buss)

07.04.2017

Karikatur eines Drogentrips

Susanne Kennedy inszeniert den Roman „Die Selbstmordschwestern“

Ja, genau so muss man es machen, wenn man schon einen Roman fürs Theater adaptieren will! So wie Susanne Kennedy, die an den Münchner Kammerspielen Jeffrey Eugenides’ Bestseller Die Selbstmordschwestern (1993) inszenierte. Die erfrischend respektlose Regisseurin schert sich nämlich überhaupt nicht um den Plot des Buches, um diese Geschichte über eine amerikanische Mittelschicht-Familie, die in den 70ern in einer amerikanischen Vorstadt lebt und deren fünf pubertierende Töchter sich alle innerhalb eines Jahres umbringen. Kennedy nimmt daraus nur einige Sätze – wie „Heute hat es tiefgefrorene Pizza gegeben“. Die verstörende Komik der Aufführung liegt genau darin, dass solche Banalitäten montiert werden mit Texten aus dem Tibetanischen Totenbuch, das Nahtoderfahrungen buddhistisch interpretiert, sowie mit Sentenzen des Drogen-Gurus Timothy Leary, der wusste: „Das Ziel dieser Reise ist die Ekstase.“ So was lässt sich diese Regisseurin nicht zweimal sagen. Ihr unverwechselbarer Inszenierungsstil wirkt wie das erlösende Gegenprogramm zum anachronistischen Realismus des Romans, den sie durch radikale Künstlichkeit der Darstellung und durch eine Art Totalverfremdung bricht: Die Stimmen kommen elektronisch verzerrt vom Band, während die Akteure nur die Lippen dazu bewegen. Sensation und „Hauptdarsteller“ des Abends ist aber das Bühnenbild: eine quietschbunte Kaufhaus-Puppenstube hat Lena Newton in die Kammerspiele gestellt, eine Mischung aus Spielautomat, buddhistischem Tempelschrein und kitschgrellem Barbieparadies voller Bildschirme und blinkender Lichter. Aber die Püppchen, die darin mit weißen Kommunionkleidchen (oder Totenhemden?) und künstlichen Blütenkränzen herumgeistern, sind lauter männliche Schauspieler, die stilisierte Mädchenmasken mit Stupsnasen und großen Blinke-Augen vor dem Gesicht haben, sodass sie wie japanische Comicfiguren aussehen. Oder sind es Alien-Druidinnen vom fremden Stern? Was diese gummibehandschuhten Marionetten da aufführen, wirkt nämlich wie ein seltsames Ritual, eine Totenfeier mit Coca-Cola-Eucharistie, denn zum Höhepunkt zuzeln tatsächlich alle Manga-Mädchen aus einer Cola-Flasche. Und gegen Ende steigert sich diese bizarre Pubertäts-Liturgie im Konsumtempel zur fulminanten Karikatur eines psychedelischen Drogentrips: Statt Milch fließt Blut aus Mädchenbrüsten, in Großaufnahme zieht die unendliche Fahrt durch einen Wald vor uns vorbei, und ein langhaariger Greis hält ein rot leuchtendes Plastikherz in die Höhe. Aber so deutlich dieser Abend eine Satire ist auf jede eskapistische „Spiritualität to go“: Wo genau die Grenze verläuft zwischen dem Rebirthing-Kitsch der Esoterik-Industrie und authentischer Entgrenzungserfahrung, das bleibt bewusst offen. (Alexander Altmann)

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