Kultur

Die Erde ein Garten Eden, wo es keine Macht mehr gibt – die Wesen aber auch verstummt sind. (Foto: Jan-Pieter Fuhr)

16.03.2018

Kiffend in der Badewanne

Peer Ripbergers Augsburger Bühnenexperiment über die 68er

Es soll Utopie sein: Geschichte kann man schon machen, aber so wie jetzt ist’s halt scheiße, heißt eine Stückentwicklung von Peer Ripberger, die am Theater Augsburg uraufgeführt wurde. Das Bühnenwerk setzt sich auf einer sehr intellektuellen Ebene einerseits und auf einer spielerischen Ebene andererseits mit den 68ern auseinander, die zumindest als Begriff auf die bundesrepublikanische Geschichte eingewirkt haben. Und der Verdacht, dass diese gemeingesellschaftliche Erfahrung einer Liberalisierung und Neubewertung des Zusammenlebens eine Gesellschaft zumindest partiell geprägt hat, drängt sich auf, wenn man den Osten Deutschlands betrachtet, der andere, deutlich autoritärer gestrickte Denkmuster mit eingebracht hat.
Um diese Denkmuster geht es. Ripberger stellt derlei mentale Traditionen mitten hinein in eine aktuelle politische Diskussion um die Wirkmacht von 1968, indem er diese Diskussion erst einmal ignoriert. Stattdessen nähert er sich dem Thema mit dem Trick einer Zeitreise: Das Publikum sieht eine Palavergruppe, die unentwegt raucht und sich in einer schier endlos scheinenden, sich gern auch mal wiederholenden Debatte selbst vergewissert über das Werden und die potenzielle Wirkmacht linken Denkens in jener studentenbewegten Zeit, in der die Intellektuellen was zu sagen hatten. In einfachstem Bild (Ausstattung: Raissa Kankelfitz) mit lediglich ein paar Bühnenpodesten bildet sich eine Sprachpartitur heraus, die mit rhetorischen Versatzstücken aus jener Zeit arbeitet: Debattenkultur wird Theaterstoff. Kernbotschaft: „Alle Macht der Phantasie!“
Sebastian Baumgart, Marlene Hoffmann, Roman Pertl, Patrick Rupar und Katharina Rehn meistern diese Kollektiv-Partitur großartig und hoch konzentriert.

Utopien in den Augsburger Himmel plärren

Deutlich erkennbar ist, wie aktuell Positionen der 68er heute noch sind. Leben wir erneut oder immer noch in einer „präventiven Konterrevolution“, wie es mehrmals heißt? Wie weit sind die Erfolge des Feminismus gediehen? Was ist mit den zu kappenden Wurzeln des Nazismus? Man kann derlei Fragen ja diskutieren und linke Utopien öffentlich denken, sagt Ripberger, und siehe da: Die Spieler brechen ihr Spiel ab und gehen hinaus auf die Straße, wo sie zusammen mit einigen willigen Zuschauern mithilfe eines Megafons Träume und Utopien formulieren.
Peer Ripberger macht das sehr geschickt: Aus traditionellem Theater wird Agitationstheater und schlussendlich eine Bühneninstallation. Seine Stückentwicklung springt von der Vergangenheit in die Gegenwart und schließlich in die Zukunft.
Denn während draußen noch Gedanken der Utopie in den Augsburger Abendhimmel geplärrt werden, hat drinnen ein großer Umbau begonnen: Aus der Bühne ist ein Garten Eden geworden. In diesem marschieren die Darsteller umher, einander sehr zugewandt, aber auch leicht roboterhaft; sie sprechen jetzt gar keinen Text mehr, sondern stellen als Spielfiguren jene Utopie nach, die eine Frauenstimme aus dem Off spricht: Auf der Erde leben nun Wesen – halb Mensch, halb Cyborgs – die Ideale einer „Planarchie“ aus, einer Gesellschaft, die Macht verlernt hat und es dafür versteht, im Einklang mit Erdgöttin Gaia zu leben.
Das ist dann durchaus ein eher radikales Bühnenexperiment rund ums Thema Phantasie und Utopie, auf das Teile des Publikums äußerst unmutig reagieren.
Und am Ende liegen alle Darsteller nackt in einer Badewanne und kiffen. Womit wir wieder in der Vergangenheit und der Kommune Nummer eins angekommen wären. (Christian Muggenthaler)

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