Kultur

Eine gehörige Portion Humor zeigt diese unbetitelte Fotografie (1976) von Kathleen Seltzer. (Foto: Kathleen Seltzer)

14.06.2019

Konventionen auf dem Prüfstand

Die Ausstellung „Re-Visions“ zeigt Arbeiten ausschließlich von Fotografinnen

Man könnte es feministisch interpretieren, dieses Schwarz-Weiß-Foto von Kathleen Seltzer aus dem Jahr 1976. Es zeigt eine Frau, die elegant zurückgelehnt auf einer Fliesenbank sitzt – und fast nicht wahrnehmbar ist. Das Muster ihres Kleids gleicht nämlich dem der Kacheln an der Wand. Was für eine schonungslose Kritik am Patriarchat, das die Frau zum Dekorationsobjekt verdinglicht! Aber diese verbissene Deutung übersähe das Wichtigste: die ungeheure Komik dieses Bilds, die es zur veritablen Sensation macht.

Voller Humor

Humor ist nämlich nicht gerade das herausstechendste Merkmal ambitionierter Fotokunst. Vielmehr scheint in ihr ein erschreckend anachronistisches Pathos, das in jeder anderen Kunstgattung gefährliche Kitschnähe signalisierte, sein letztes Refugium gefunden zu haben. So als müsse sich die Fotografie erst noch vom Geist ihrer Entstehungszeit, des 19. Jahrhunderts, emanzipieren.

Zu sehen ist das wegweisende Foto von Kathleen Seltzer in der Ausstellung Re-Visions, mit der die Münchner Pinakothek der Moderne der Mäzenin Ann Wilde zu ihrem diesjährigen 80. Geburtstag gratuliert. Zusammen mit ihrem Mann Jürgen Wilde hatte sie vor neun Jahren den Staatsgemäldesammlungen eine einzigartige Kollektion fotografischer Meisterwerke geschenkt.

Die neue Schau zeigt Fotos aus der Privatsammlung von Ann Wilde, die eines gemeinsam haben: Sie wurden alle von Frauen gemacht. Entstanden ist dennoch alles andere als eine Quotenausstellung, denn das hätten die bekannten Fotokünstlerinnen, deren Werke hier versammelt sind, gar nicht nötig.
Fast gespenstisch wirken etwa die Interieurs, die Johanna Diehl für ihre Serie Gefrorene Räume (2006) fotografiert hat. Da hängt ein duftig-weißes Nachthemd an einem hohen, eingebauten Schleiflackschrank. Links davon, im Licht, bauschen sich üppig gemusterte Vorhänge, während am rechten, verschatteten Bildrand gerade noch eine offene Tür ins Nebenzimmer zu sehen ist, als wären die ehemaligen Bewohner durch sie ins Dunkel entschwunden. Über die melancholische Atmosphäre der Verlassenheit hinaus, die diese hochromantische Vanitas-Ikone vermittelt, regt sie aber auch die Phantasie des Betrachters an: Was mag dieses noble Villen-Schlafzimmer, in dem der Chick der 60er-Jahre konserviert ist, seit damals alles an Freuden und Leiden gesehen haben? Es ist fast, als enthielte das Foto im Kern den ganzen Roman eines Lebens.

Formal besonders interessant sind Aufnahmen, die bewusst gegen alle Regeln des fotografischen Handwerks verstoßen. Vor allem das farbige Stillleben (1978) der Amerikanerin Jan Groover sticht ins Auge, das die Prinzipien einer strukturierten Komposition ad absurdum führt und geradezu eine Feier der Unordnung darstellt. Es zeigt exotische Gewächse vor einer Küchenspüle, wobei die Blätter der Pflanzen genauso schräg und chaotisch durchs Bild kreuzen wie das Geschirr und Besteck, das hinter ihnen sichtbar wird. Hier macht die Fotografie auch einmal, was echte Kunst immer tut: Sie unterzieht bestehende formale Konventionen einer „Re-vision“. (Alexander Altmann)

Information: Bis 17. November. Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, 80333 München. Tgl. außer Mo. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr.

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