Kultur

Im Stil eines Entertainers entlarvt Fehler Kuti hippe Rassismus-Diskurse als unpolitische Emanzipationsfolklore. (Foto: Julian Baumann)

30.11.2020

Krampf im Klassenkampf

Die Premier von Fehler Kutis neuer Musikperformance feiern die Münchner Kammerspiele online

Um ehrlich zu sein: Bequem ist es schon, wenn man abends nicht in die Kälte raus muss, um ins Theater zu gehen, weil das Theater stattdessen ins Haus kommt, via Internet. So geschah es an den Münchner Kammerspielen bei dem Projekt The History of the Federal Republic of Germany as told by Fehler Kuti und Die Polizei. Eigentlich hätte diese Performance am 7. November ihre richtige Premiere haben sollen; aber weil es bekanntlich kein richtiges Theater im falschen (also dem, das die Politik aufführt) gibt, fand die Premiere online statt.

Gemütlich zuhause rumfläzend, sieht man da also, dass die Bühnenrückwand ein Triptychon ziert, bei dem zwischen Porträts von Gerhard Schröder und Horst Seehofer das Bild einer deutschen Mutter hängt, die ein schwarzes und ein weißes Kindlein an Händen hält. Die fünf Instrumentalisten davor, die anfangs Tüten über die Köpfe gezogen haben, sind offenbar „Die Polizei“: gewandet in jene beigen Hemden und Hosen, die vor nicht langer Zeit zur Uniform der Ordnungskräfte gehörten, machen sie eine flotte Musik zum Mitwippen, irgendwo zwischen Ethno-Sound und Nationalhymne.

Der Hauptakteur mit dem Künstlernamen Fehler Kuti sieht wiederum arabisch aus, redet aber wie ein deutscher Muttersprachler und trägt zu allem Überfluss noch ein grünes Barrett, das ihn schön klischeehaft als polizeiliche oder militärische Autorität kennzeichnet. Dazu passt freilich sein Gebaren kaum, denn er federt singend, tänzelnd, deklamierend über die Bühne wie ein Entertainer.

Aber soweit sich das aus dem denglischen Sprachmix des Textes erschließen lässt („Hand in Hand, as we collect Dosenpfand“), scheint dieser Abend ja die ganzen Floskeln der hippen Rassismus- und „Dekolonialisierungs“-Diskurse als unpolitische Emanzipationsfolklore entlarven zu wollen: eben als Unterhaltungsprogramm für „die Kleinbürgerklasse“, die sich „whole again“ fühle, wenn sie Fair Trade und Biogemüse kauft, aber verkenne, dass die Kategorie „Rasse“ das Problem der Eigentumsverhältnisse verschleiert. Kurzum: Naiver Antirassismus ist bloß Krampf im Klassenkampf; oder wie es Fehler Kuti hochtheoretisch ausdrückt: „class relations have become to mere identity markers“.  Schau einer an.

Am Ende dieser ungewöhnlichen Premiere fragte sich mancher Introvertierte, der keine große Gesellschaft braucht, bestimmt, ob das Theater insgesamt künftig auf Internet-Übertragung umstellen sollte - zumal das sicher auch dem Klima hülfe. Aber diese Haltung wäre genauso egoistisch wie der Lockdown, der global gesehen ein perverser Luxus zu sein scheint, den sich die erste Welt leistet: auf Kosten der "dritten Welt", die ihn, wenn man UN-Organisationen glauben darf, mit hunderten Millionen zusätzlicher verhungerter Kinder in Afrika bezahlt. Aber immerhin sterben die jetzt nicht mehr als „Negerkinder“, sondern als kleine „people of colour“. Wenn das kein Fortschritt ist! (Alexander Altmann)

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