Das ist ja fast wie Weihnachten: Plötzlich hängen Bilder von Giorgio Morandi in der Münchner Pinakothek der Moderne! Gleich drei an der Zahl – und das auch noch in einem Präsentationskontext, dessen Kühnheit die staatstragenden Grenzen kunsthistorischer Konvenienz zu sprengen droht. Denn die karg-verinnerlichten Stilleben des Italieners werden in einem Raum mit Werken seiner jüngeren Landsleute Lucio Fontana und Alberto Burri gezeigt – Vertretern der Arte Povera, deren vernähte Rupfensäcke und durchlöcherte Leinwände einen betörend spannungsvollen Einklang mit Morandis Gemälden erzeugen.
So viel kreatives Hallodritum hätte man den Staatsgemäldesammlungen gar nicht zugetraut. Aber schließlich ist doch nicht Weihnachten, sondern Sommer, wo man schon mal alle Viere grade sein lässt und über die Stränge schlägt: Reset heißt das bei der Pinakothek der Moderne, denn unter diesem Titel präsentiert „die Sammlung moderne Kunst einen Neustart der Positionen ihrer Sammlungen“. Mit anderen Worten: Weil jedes große Museum viel mehr hat, als es zeigen kann, muss man die Exponate ab und zu mal durchwechseln.
Phantastischer Blütenstaub
Zu den ungeahnten Schätzen, die dabei ans Licht kommen, gehört eine Neuerwerbung von 2014: Wolfgang Laibs riesiges, leuchtend gelbes Quadrat aus Kiefernpollen, das am Boden eines Raumes aufgeschüttet ist und für das allein sich das ganze „Reset“ schon gelohnt hat. Das Werk des bekannten Blütenstaub-Künstlers überwältigt mit seiner hochsubtilen auratischen Dringlichkeit – weshalb es aber auch nur die überzeugendsten Arbeiten neben sich bestehen und etliche zeitgenössische Werke alt aussehen lässt.
Ja, in dieser Nachbarschaft muten selbst Cy Twomblys graphisch-nervöse Stricheleien nahezu konventionell an. Und Willem de Koonings späte Dekorationsmalereien, links vom Laib-Raum, werden vollends zur schlappen Lachnummer. Kaum verständlich auch, dass der große Saal mit den sterbenslangweiligen Holzkästen von Donald Judd bestehen blieb. Dabei wäre das „Reset“ die ideale Gelegenheit gewesen, diese Platzverschwendung endlich zu beenden.
Affront gegen Exponate
Und nachgerade ärgerlich scheint ein seit Bestehen der „PDM“ immer wiederkehrender Präsentations-Schnitzer, den sich die Kuratoren leisten, indem sie auf dem vergleichsweise schmalen Emporengang vor den Sälen 11 und 14 nicht, wie erforderlich, kleine, sondern großformatige Bilder hängen, die man aus einem gewissen Abstand wahrnehmen muss. Was aber an diesem speziellen Ort eben gerade nicht möglich ist, so dass sich beim Betrachter der Riesen-Werke ein auch körperlich beklemmender Schwindel einstellt – was die Wirkung der Bilder brachial durchkreuzt und ungewollt an die destruktive Hängung der Gemälde in der Ausstellung Entartete Kunst denken lässt. Zumindest aber ist es ein Affront gegen die Exponate, der diesmal Anselm Kiefers Reliefgemälde Nero malt und Francis Bacons Kreuzigungs-Triptychon, ein absolutes Spitzenwerk der Sammlung, trifft.
Viel erfreulicher sind da schon die zwei neu aufgebauten Environments bekannter Zeitgenossen: Pippilotti Rist hat mit "Himalaya Goldsteins Stube" eine großflächige Wohnlandschaft samt Nippes und Hausbar installiert – ein dämmriger Salon irgendwo zwischen Puff und Antiquitätensammlung, wobei versteckte Projektoren durch kleine Löcher in Sesseln und Regalen flackernde Videos in den Raum und an die anderen Möbelstücke beamen.
Nicht so augenzwinkernd psychedelisch, aber genauso (grusel-)komisch geht’s bei Pipilotti Rists Schweizer Landsmann Thomas Hirschhorn zu, einem Künstler, der uns buchstäblich zeigt, wo der Hammer hängt. Nämlich neben Beilen und Sägen in der Doppelgarage: Da tritt man in einen neonbeleuchteten Raumschlauch mit Tischen, auf denen Modelleisenbahnen um Berge aus Klebeband und Zeitungspapier surren, beschirmt von riesigen Pappmaschee-Schwammerln. Daneben sind an die Wand Porno-Pinups und Philosophen-Zitate geklebt, speziell von Nietzsche. Aber der hat ja bekanntlich auch entdeckt, wie man mehr oder weniger „mit dem Hammer philosophiert“. (
Alexander Altmann)
Information: Bis 31. Oktober. Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, 80333 München. Tgl. außer Mo. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr.
www.pinakothek.de
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