Einem Meister der flüchtigen Erfassung atmosphärischer Stimmungen, des Eindrucks realer Augenblicke und typischer Ausstrahlung von Menschen begegnet man in der Oberen Saline in Bad Kissingen: Robert Sterl (1867 bis 1932) ist nahezu vergessen, aber einer Entdeckung wert.
Die Ausstellung umfasst zwei Bereiche: Im Dachgeschoss wird Sterl als Illustrator von Kinder- und Jugendbüchern vorgestellt. Der junge, nicht sehr bemittelte Maler schuf ab 1890 zum Brot- und Nebenerwerb Vorlagen, also Entwürfe in Aquarell und Gouache für Chromolithografien, mit denen die erbaulichen, moralisierenden Jahrbücher der Schriftstellerin Thekla von Gumpert reich bebildert wurden, das Töchter-Album „zur Bildung des Verstandes und des Gemütes der heranwachsenden weiblichen Jugend“ und die Publikation Herzblättchens Zeitvertreib, „Unterhaltungen für Knaben und Mädchen zur Herzensbildung und Entwickelung der Begriffe“. In diesen Jahrbüchern – sie wandten sich vorwiegend an eine städtische Leserschaft – spiegelte sich eine heile, biedermeierlich-bürgerliche Welt. Außerdem illustrierte Sterl 1892 das lehrreiche Kinderbuch Woher kommt’s Brod? Vom Honorar konnte er seine Studienreise nach Frankreich finanzieren.
Sowohl diese Ausstellung über den Illustrator als auch die große Retrospektive über den Maler und Zeichner Sterl im Erdgeschoss beeindrucken trotz der Enge der Räumlichkeiten durch die liebevolle Ergänzung der Bildwerke durch Gegenstände aus dem Besitz und Umfeld des Künstlers, durch Fotos und Zeugnisse über ihn.
Leben und künstlerische Entwicklung von Robert Sterl wurden geprägt von seiner Herkunft aus bescheidenen Verhältnissen in Dresden. Wegen seines überragenden zeichnerischen Talents wurde er schon mit 14 Jahren in die Dresdner Kunstakademie aufgenommen. Doch der dort gelehrte Akademismus genügte ihm nicht, wie die frühe, souveräne Schilderung einer Auktion nahelegt. Soweit es ihm seine knappen Mittel erlaubten, besuchte er auswärtige Ausstellungen.
1891 schloss er sein Studium ab, 1893 brach er zu Studienreisen auf nach Paris, Brüssel und Amsterdam; das erweiterte seinen künstlerischen Horizont durch die Anregungen der Schule von Barbizon, Haag und durch die Impressionisten. Von Malerfreunden wurde er nach Hessen eingeladen, widmete sich verstärkt der Freilichtmalerei mit eher sonnigen, vereinfachten Landschaftsbildern und richtete sich im Töpferdorf Wittgenborn ein Sommeratelier für die Dauer von zehn Jahren ein. Dort entstanden viele Schilderungen aus dem bäuerlichen Leben, zu sehen an der beeindruckenden Kartoffelleserin oder dem Töpfer an der Drehscheibe.
Fasziniert von Musik
Allmählich hatte er Erfolg mit seinen Werken, galt ab 1904 als der bedeutendste Impressionist unter den Dresdner Malern. 1906 wurde er zum Professor in seiner Heimatstadt berufen. Er war als Porträtmaler der sächsischen Oberschicht gefragt – doch seine bevorzugten Themen fand er im einfachen Leben der Leute, die sich für ihren Broterwerb sehr anstrengen mussten. Auf seinen Gemälden, Lithografien und Zeichnungen entdeckt man häufig Steinbrecher, Baggerer, Lastenträger, Bauern, Hafenarbeiter, Fischer.
Eine besondere Faszination übte auf ihn die Musik aus. Durch seine Freundschaft mit dem russischen Komponisten Nikolai von Struwe lernte er dessen Landsmann, den Dirigenten und Orchesterleiter Serge Kussewizki kennen, der ab 1910 luxuriöse Konzertreisen auf einem Dampfer auf der Wolga organisierte. Sterl kam in engen Kontakt zu so berühmten Musikern wie Skrjabin, Rachmaninow und Strawinsky, von denen er bemerkenswert lebendige Porträts anfertigte, auch von Ferruccio Busoni am Flügel mit dem Dirigenten Arthur Nikisch im Hintergrund, verewigt auf einer flüchtigen Skizze auf Hotelpapier.
Kontakte zu Russen
Der Maler war gefesselt von Russland, das er durch seine Beziehungen zu den russischen Freunden mehrfach bereisen konnte. So entstanden Gouachen mit dem Blick über die Dächer des schneebedeckten Moskau, auch vom Hoforchester des Zaren mit einem Flötisten im Vordergrund und eine Ballettszene im Bolschoi-Theater, die in ihrer flüchtig-expressiven Malweise die innere Dynamik der Bewegungen ahnen lässt. Zum Malen inspiriert hat ihn der Hafen von Astrachan am Kaspischen Meer mit seinem Völkergemisch, dem Mastenwald, den exotischen Menschen und lebendigen Marktszenen.
Die Wolgareisen wurden in einer bibliophilen Publikation als Musik auf der Wolga mit 17 Illustrationen von Sterl 1920 nachträglich veröffentlicht.
Nach dem Ersten Weltkrieg verschlechterte sich der Gesundheitszustand Sterls. Als Kriegsmaler in Frankreich hatte er schreckliches Leid gesehen. So wirkt das düstere, eindrucksvolle Aquarell des Fohlens vor der toten Mutter-stute mit dem Rauch am Abendhimmel wie ein Mahnmal vor dem Krieg. Hochgeehrt starb Sterl 1932. Eine einzige große Einzelausstellung würdigte den Maler in Chemnitz 1928. (Renate Freyeisen)
Information: Bis 1. Juli. Museum Ober Saline, Obere Saline 20, 97688 Bad Kissingen. Mi. bis So. 14-17 Uhr. www.badkissingen.de
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