Kultur

Am Krankenlager. Holzschnitt aus "Der dritte Theil Der grossen Wundtartzney" (1562) von Paracelsus. (Foto: SSB, 49 H 38, Titelblatt/Gerald Raab)

02.06.2023

Medizin gegen Gottes Zorn

Die Staatsbibliothek Bamberg zeigt eine Ausstellung zur Seuchenbewältigung in der Frühen Neuzeit

Nach Florenz gelangte die Pest wohl durch den Zorn Gottes „über unseren sündlichen Lebenswandel“, spekulierte der Erzähler in Giovanni Boccaccios Decameron um 1350. Seuchen, ihre Ursachen und Therapiemöglichkeiten sind nach wie vor aktuelle Themen, nur dass inzwischen der Glaube an die Wissenschaft in den Vordergrund gerückt ist. Ganz durchgesetzt hat er sich aber nicht, wie es im Vorwort des Katalogs Pest und Cholera zu einer aktuellen Ausstellung in der Staatsbibliothek Bamberg angedeutet wird.

Modernes Krankenhaus

Der Besuch dieser Schau ist vielleicht heilsamer als eine Landgutquarantäne, wie sie sich, dem Decameron folgend, zehn junge Adlige selbst verordnet hatten. Wie erbaulich ist es doch, handgedruckte Schriften zu studieren oder Bilder vom alten Bamberger Krankenhaus anzuschauen, vor dem ein Heuwagen vorbeizieht, auf den man sich drauflegen und träumen kann? Das Krankenhaus nach den Vorstellungen von Adalbert Friedrich Marcus war 1789 wegen seiner Belüftung und Frischwasserversorgung das fortschrittlichste überhaupt.

Es lohnt sich nicht nur für Lokalpatrioten, das Thema „Seuchenbewältigung und Medizinalwesen in Bamberg in der Frühen Neuzeit“, so der Untertitel des Katalogs, genauer zu erforschen, auch wenn momentan eine Ausstellung in Bozen ähnliche Zusammenhänge unter dem Titel „Seuchen und Handel“ ergründet.

Es ist schier unglaublich, welch eine Vielzahl von Perspektiven der beteiligte Projektleiter Mark Häberlein mit seiner Forschungsgruppe an der Universität Bamberg vom lokalen Standort aus auffächern konnte. Untersucht wurden etwa die „magischen“ Aspekte der Medizin, die Rolle der Religion, der Siechhäuser, der Apotheken, der „Medecinalpolicey“, der reisenden Okulisten (Augenärzte) und Zahnärzte, der Impfungen, des wissenschaftlichen Gelehrtenstreits und sogar der Scharfrichter. Letztere sammelten Erfahrungen beim Wiedereinrenken von Gliedmaßen der überlebenden Gefolterten.

Besonders interessant ist ein Gelehrtenstreit, an dem der Bamberger Hofarzt Sigismund Schnitzer zu Beginn des 17. Jahrhunderts beteiligt war. Man diskutierte unter anderem über Paracelsus, der übrigens einige Jahre im Bamberger Hochstiftsort Villach in Kärnten tätig war, und über den sich ausbreitenden Hexenglauben. Häberlein verfasste zu Schnitzer, der in der Bamberger Judenstraße wohnte, einen zusätzlichen, sehr lesenswerten Aufsatz.

Europaweit berühmt wurde das Bamberger Gesundheitswesen durch Adalbert Friedrich Marcus und Andreas Röschlaub. Die Bedeutung des Letzteren sank mit der Zeit, wohingegen Marcus sich durch das erwähnte Krankenhaus und seine Freundschaft zu E.T.A. Hoffmann ein Denkmal setzte. Mit ihm verwandt war der Hofphysikus Carl Moritz Marc, der ein Gegengutachten zum Fall Woyzeck erstellte, dessen Mord durch Georg Büchners Drama in die Weltliteratur einging. Marc plädierte im Gegensatz zum offiziellen Gutachter auf Unzurechnungsfähigkeit. Als eine Art Okulisten könnte man den Sandmann nach Hoffmanns Erzählung bezeichnen, der in Bamberg „sköne Oke“ anbot.

Eine der ältesten Apotheken Deutschlands ist seit mindestens 1437 die Bamberger Hofapotheke, nur wenige Schritte unterhalb der Staatsbibliothek. Hier wie dort ist es gelungen, moderne Vitrinen unter historischen Gewölben zu installieren, in der Staatsbibliothek ist das meisterhafte Geschick von Sabine Schumm dafür verantwortlich.

Zwang zum Pockenschutz

Ein Seitenblick nach Bozen: Dort geht es hauptsächlich um die Handelswege nach Venedig oder Florenz, über die sich Seuchen ausbreiteten. Auf dem literarischen Schauplatz bei Florenz wiederum versprach eine edle Dame ihre Liebe einem Verehrer, wenn er ihrem kranken Sohn seinen Falken schenke. Gegen solchen Aberglauben setzte der Bamberger Arzt Karl Jakob Diruf (1774–1869) aus liebevollem Patriotismus den Zwang zur Pockenschutzimpfung durch, der 1807 in Bayern erstmals in Europa eingeführt wurde. Seine Frau Julie führte einen literarischen Salon und seine Tochter Emma wurde eine bedeutende Forscherin in Sachen Gesangskunst, die mit dem berühmten Arzt und Physiker Hermann von Helmholtz zusammenarbeitete. (Andreas Reuss)

Information: Bis 15. Juli. Staatsbibliothek Bamberg, Neue Residenz, Domplatz 8, 96049 Bamberg. Katalog in der Ausstellung 20 Euro, E-Book kostenloser Download.
www.staatsbibliothek-bamberg.de
Sonderausstellung „Seuchen und Handel“ bis 9. September. Merkantilmuseum, Silbergasse 6/Lauben 39, 39100 Bozen. www.handelskammer.bz.it



 

 

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