Eigentlich wäre laut Lehrplan bald Sturm und Drang dran. Dazu würde Barbara Raub mit ihrer 10. Klasse am Hersbrucker Paul-Pfinzing-Gymnasium gerne Schillers Kabale und Liebe lesen und durchnehmen – und auch eine Aufführung anschauen. Aber der Sturm-und-Drang-Klassiker steht gerade nicht auf dem Spielplan des rund 30 Kilometer entfernten Staatstheaters Nürnberg – ohnehin wäre derzeit kein gemeinsamer Theaterbesuch möglich. Aber die Leiterin der Theaterpädagogik am Staatstheater, Anja Sparberg, kann der Oberstudienrätin in Hersbruck ein anderes Angebot machen. Das heißt „MehrDrama“ und ist eine Art Lehrerhandreichung, mit der man sich diejenigen Stücke erschließen kann, die zurzeit online in Nürnberg abgerufen werden können.
Schauspielerin zu Besuch
Die erste Ausgabe enthält in der Schauspielsparte die Antigone von Sophokles. Die Inszenierung von Andreas Kriegenburg hatte im letzten Herbst Premiere, dann war Lockdown. Barbara Raub findet das „MehrDrama“-Angebot so gelungen, weil sie in der Vorbereitung auf Kabale und Liebe auch die Antigone mit einbeziehen kann, wenn es mit der Klasse um Menschenrechte und Menschenwürde geht, um die Themen Drama und Theater, um Schauspieler*innen (hier Pauline Kästner als Antigone) und deren Werdegang.
Anhand des „MehrDrama“-Materials sollten die Schülerinnen und Schüler Fragen formulieren, dann kamen Anja Sparberg und Pauline Kästner online ins Homeschooling. Im Rahmen der 45-Minuten-Schulstunde im digitalen Raum stellten sich die Nürnberger Gäste den Fragen; im Schnitt waren das dann zwar nur zwei Minuten pro Frage, aber Barbara Raub beobachtete: „Die 45 Minuten waren goldrichtig. Die vielen Informationen mussten sich ohnehin erst einmal setzen. Alle waren ein bisschen erschöpft, der Sprechbedarf war ausgereizt.“
Für viele Schülerinnen und Schüler war es mangels Schulplatzmiete und Theaterbesichtigung ohnehin der erste persönliche Kontakt mit einer Schauspielerin, der Institution Theater und mit den beiden Klassikern. Barbara Raub wollte nicht, dass das Projekt den Charakter einer Pflichtveranstaltung annimmt, und sie wollte den persönlichen Kontakt trotz Corona: „Ich fand es großartig, war auch selber ein bisschen aufgeregt, ob die Technik funktioniert und die Vorbereitung, in die wir drei Schulstunden investiert hatten.“ Für sie war die Verbindung zu Anja Sparberg und der Theaterpädagogik nichts Neues: In Vor-Corona-Zeiten war man über die Schulplatzmiete immer in Kontakt, hatte zusammen Projekte zu den Bayerischen Theatertagen gemacht oder eine Kooperation mit einer tschechischen Schule angepeilt.
Hausaufgaben, Lernzielkontrollen, Noten: Bei diesem Blick hinter die Kulissen des Theaters gab es das nicht – „Theater ist mir zu schade, um es durch Noten kaputtzumachen“, sagt die Oberstudienrätin. Welche Perspektiven gibt es, wenn die Pandemie-Beschränkungen einmal ein Ende haben? Den Theaterbesuch, so Barbara Raub, kann „MehrDrama“ nicht ersetzen. Aber sie hält das Angebot als eine Art „Additum“ (auch für Museen- und Gedenkstättenbesuche) für sehr geeignet.
Für Anja Sparberg war der Arbeitsvormittag nach dieser Deutschstunde in Hersbruck nicht zu Ende: Es schloss sich die Nachbereitung mit Barbara Raub an. Dann besuchte sie – online – die Musical-AG am musischen Wolfram-von-Eschenbach-Gymnasium in Schwabach. Die Theaterpädagogin ist spartenübergreifend für die Vermittlung zwischen Theater und Schule tätig: „Ich will auch online den Schülern das Theatererlebnis und die Bedeutung des Theaters nahebringen“, sagt sie und bezieht dabei das digitale „Heft“ ein, das man anklicken kann und das den Inhalt, die Sichtweisen der Hauptpersonen, das Expertenwissen und Interviews enthält. „Jede Ausgabe will ein Fundus sein, der thematisch schnell auf den Punkt kommt – auch für den nichtschulischen Nutzer.“
Perspektiven eröffnen
Ihr Resümee des Schulbesuchs in Hersbruck im Rahmen von „MehrDrama“ war durchwegs positiv: „Besonders weil die Schüler zugegeben haben, dass sie mit dem Antigone-Text überfordert waren, hat ihnen die Verbindung mit der Schauspielerin Pauline Kästner gefallen, die für das Drama und dessen Akteurin brennt.“ Sie fügt hinzu: „Wir wollen im Theater ja nicht die Lehrpläne eins zu eins umsetzen, aber Perspektiven und Vergleiche vertieft eröffnen. Wir wollen auch Schülern Tipps geben, wie und wo man im Theater berufstätig werden kann. Wir sind immer da, wo und wann man uns im Unterricht unterbringen kann. Für unser Theater ist die kulturelle Bildung der Kinder wesentlich. Die Theaterpädagogik ist eine Abteilung, die zu allen Schülern Kontakt hält.“ Und das derzeit mit den besonderen Angeboten – aber selbstredend erst recht nach dem Lockdown. (Uwe Mitsching)
Information: fundus.staatstheater-nuernberg.de/detail/mehr-drama
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