Kultur

Detail der Synagoge-Figur am Bamberger Dom. Die Gesamtansicht neben einer Abbildung der Ecclesia-Figur sowie eine Ansicht des Fürstenportals finden Sie im Beitrag. (Foto: Jan Kopp)

30.10.2020

Monumentale Würdigung

Reflektionen über die Figur der Synagoge am Bamberger Dom und warum deren Entfernung ein fatales Missverständnis wäre

Ein wieder aufkeimender Antisemitismus, der bis in deutsche Parlamente vorgedrungen ist, fordert viele Beobachter zu kritischen Prüfungen von Publikationen aller Art heraus. Um diesem Ungeist nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu verleihen, überprüft man auch Kunstdenkmäler früherer Zeiten. Hans Markus Horst, der Beauftragte für Weltanschauungsfragen der Erzdiözese Bamberg, wünschte schon im Frühjahr unter anderem die Entfernung der Figur der Synagoge – als Sinnbild für die jüdische Religion – aus dem Bamberger Dom, wegen ihrer scheinbar antisemitischen und antijudaistischen Tendenzen.
Bei genauerem Hinsehen erweist sich dieser Wunsch als kontraproduktiv. Die Figur aus dem 13. Jahrhundert befindet sich heute aus konservatorischen Gründen im südlichen Seitenschiff des Bamberger Domes, und an ihrem ursprünglichen Standort draußen, dem sogenannten Fürstenportal, hat man eine Kopie aufgestellt. Horst interpretiert nach dem Bericht einer Bamberger Zeitung die Attribute und die ganze Erscheinungsweise der Synagogenfigur – Schwäche, Zartheit, Augenbinde – als Herabsetzung des Volkes Israel und des Judentums.

Der Ecclesia ebenbürtig

Kulturhistorisch-wissenschaftlich gesehen geht diese Interpretation in eine völlig falsche Richtung. Herbert Jochum wies schon 1993 in seinem Standardwerk Ecclesia und Synagoga nach, dass beide Figuren am Bamberger Fürstenportal als Sinnbilder der christlichen Kirche (Ecclesia-Figur) und des Judentums (Synagoge-Figur) von „Hoheit und Ebenbürtigkeit“ gekennzeichnet seien. Die Synagoge kann hier also keineswegs antijudaistisch, also als Herabsetzung der jüdischen Religion, oder antisemitisch, als Diffamierung des jüdischen Volkes, verstanden werden. Sie stünde in einer langen, bis auf die Kirchenväter zurückreichenden Tradition, in der man Ecclesia und Synagoge als gleichbedeutende Glieder der Heilsgeschichte gesehen habe, die Christus vollenden werde.

Denn die christliche Kirche (Ecclesia-Figur) und das Judentum (Synagoge-Figur) repräsentierten in gleicher Größe und auf gleicher Höhe den Alten und den Neuen Bund, der am Bamberger Fürstenportal direkt neben den weiblichen Figuren mit den Aposteln, welche auf den Schultern der Propheten stehen, dargestellt ist. Hierdurch werde nach Jochum die Wertigkeit auch des Alten Testaments und somit des Judentums durchaus monumental gewürdigt – was übrigens der positiven Einstellung der Staufer zum Judentum entspreche und sich in ähnlichen Figuren des Straßburger Münsters ausdrücke.

Das bezieht sich auf das 13. Jahrhundert. Im 9. Jahrhundert aber, so Jochum, habe sich zwischenzeitlich eine Entfremdung der Kirche zum Judentum auch künstlerisch ausgedrückt, erkennbar zum Beispiel an der Elfenbeintafel auf dem Perikopenbuch Kaiser Heinrichs II., das er später dem Bamberger Domschatz stiftete (heute in der Bayerischen Staatsbibliothek München). Dort sind Ecclesia und Synagoge etwas herabsetzend als streitende Frauen abgebildet. Aus der Mitte des 12. Jahrhunderts wiederum kennt man eine positivere Pariser Darstellung, wo Christus den Schleier – eine korrektere Bezeichnung als Augenbinde oder gar Blindheit – von den Augen der Synagoge wegnimmt: Sinnbild der Tatsache, dass Juden wie Christen für die Erlösung vorherbestimmt sind.

Eine der diskriminierendsten Darstellungen der Synagoge in Mitteleuropa zeigt Jochum vom Chorgestühl des Erfurter Domes, geschnitzt um 1410: Hier reitet die Allegorie des Judentums mit zugekniffenen Augen auf einer Sau und trägt einen spitzen Judenhut.

Im Vergleich mit solchen Bildern erweist sich gerade die Statue der Synagoge am Bamberger Fürstenportal als herausragend positiv: „Ebenso adelig und hoheitsvoll (und ebenbürtig) wirken die Figuren von Ecclesia und Synagoge am Fürstenportal des Bamberger Domes“, schreibt Jochum, wo sie nämlich eingebunden sind in die Heilsgeschichte, beginnend mit den „Kindern aus Abrahams Schoß“, dargestellt im Bogenfeld neben Ecclesia, und endend beim Jüngsten Gericht, zentral in der Mitte des Fürstenportals.

Nicht bei der Synagoge, sondern beim Jüngsten Gericht ereignet sich, dass die auf ewig Verdammten, die nicht mehr – wie die Synagoge – für die Erlösung bestimmt sind, von einem nackten Teufel abgeführt werden; wobei die Synagoge immerhin mit einem extrem dünnen, sehr oft bewunderten steinernen Gewand verschleiert, aber doch bedeckt ist. Von ihren Würdezeichen mit Krone, Bischofsmütze, päpstlicher Tiara und Geldsäcken haben die für den Höllenschlund Bestimmten nun nichts mehr. Sie sind die wahrhaft Gezeichneten oder Diskriminierten, wenn man so will. Stattdessen harrt die durchaus traurig und etwas armselig, aber „hoheitsvoll“ dastehende Synagoge der Entschleierung und Erlösung durch die Gnade des unweit neben ihr thronenden Christus – so wie im Grunde alle Menschen.

Falsche Verklärung

Im 20. Jahrhundert brachte ein Bamberg-Buch aus der Nazi-Zeit ein Bild vom gesamten Fürstenportal und hob als Einzelmotiv nicht etwa die Ecclesia, sondern die Synagoge hervor. Verklärend schrieb der Autor Georg Beck von ihrer „jungfräulichen Gestalt“ und „der feinen Biegung des Leibes“. Augenbinde und zerbrochener Stab würden „auf die verlorene Herrschaft“ hindeuten. Welche Herrschaft? Höchstens eine irdische.

Nach der Heiligen Schrift liegt die wahre Herrschaft, die Königsherrschaft, sowieso in den Händen Gottes (griechisch: basileia tou theou), welche im neutestamentlichen Sinne dereinst allen Menschen, ob Juden, Christen oder Heiden, zuteilwerden kann – so auch die Aussage des Bamberger Fürstenportals, kirchenhistorisch-wissenschaftlich betrachtet. Man sollte früheren fatalen Missverständnissen nicht noch im Nachhinein das Wort reden. (Andreas Reuss)

Abbildungen:
Das Fürstenportal des Bamberger Domes umrahmen zu beiden Seiten und ebenbürtig die Ecclesia (links) und die Synagoge – zwei Figuren, die das Christentum und das Judentum symbolisieren. Inzwischen sind die Originalskulpturen aus dem 13. Jahrhundert im Innern des Domes zu finden, am Portal wurden Kopien installiert.    (Fotos: Jan Kopp)

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