Kultur

Turbulent, chaotisch: Pitzelberger mimt einen russischen Bass und Carlos Rodriguez Parzival Carnefas den Tenor „Placebo Domengo“ (Holger Ohlmann, links, und Juan Carlos Falcón). (Foto: Pogo Zach)

22.01.2016

Neureich und dekadent

Gärtnerplatztheater begeistert mit dem schrillen Treiben in Offenbachs "Salon Pitzelberger"

In München herrscht oftmals mehr Schein als Sein. Manche Münchner geben sich betont weltstädtisch, um doch ihre im Grunde provinzielle Herkunft nicht leugnen zu können. Dieses Phänomen ist nicht neu, und nicht nur in der Isarmetropole zu beobachten: Schon Jacques Offenbach hat darüber lustvoll gespottet. Seine wenig bekannte Operette Salon Pitzelberger entlarvt schonungslos die geistige Beschränktheit mancher neureicher „Männer von Welt“. Mit der Neuproduktion in der Münchner Reithalle durch das Gärtnerplatz-Theater schließt sich der Kreis, denn: Vor genau 150 Jahren begann mit diesem Werk von Offenbach die Erfolgsgeschichte des Hauses. Es war die allererste Produktion, die im November 1865 am „Münchener Actien-Volkstheater“ gezeigt wurde – damals noch unter dem Titel „Eine musikalische Soirée in der Vorstadt“.

Mit Netribko und Domengo

Dieses abendliche Hauskonzert bestreitet der neureiche Münchner Pitzelberger (Holger Ohlmann). Er verwendet gerne kluge Fremdwörter, die er aber allesamt falsch ausspricht. Mit drei Opern-Stars möchte Pitzelberger in der Schickimicki-Gesellschaft glänzen, doch sie sagen ab. Also muss Pitzelbergers Schwester Ernestine (Elaine Ortiz Arandes) die große „Anja Netribko“ nachmachen. Ihr Geliebter Carlos Rodriguez Parzival Canefas (Juan Carlos Falcón) trällert anstelle des berühmten Tenors „Placebo Domengo“. Pitzelberger selbst mimt einen russischen Bass. Natürlich droht ein heilloses Fiasko. Überdies gibt es weitere Probleme: Pitzelbergers Villa ist baufällig. Noch dazu drückt eine gewaltige Erblast auf das alte Gemäuer. Wenn Bruder oder Schwester nicht standesgemäß heiraten, geht das gesamte Vermögen an die Kirche. Nun ist aber Ernestines Liebhaber ein mittelloser Musiker, und ihr Bruder Pitzelberger verliebt sich in die Bedienstete Brösel (Frances Lucey).

Testament richtig lesen

Die Rettung liegt im Detail: Im Testament ist von „Bruder oder Schwester“ die Rede, nicht von „Bruder und Schwester“. Damit kann der Notar Saalberger-Weidekamp (Martin Hausberg) gut leben, zumal er seinerseits mit der Bediensteten Petermann (Ann-Katrin Naidu) liebäugelt. Ein kurzweiliger Klamauk ist das Ergebnis, wobei der Text eigens für die Gärtnerplatz-Aufführung gekonnt aktualisiert wurde. So wird aus Verdi ein Komponist, der für das Kreuzfahrt-Unternehmen „Aida“ die Musik kredenzt. Die Regie von Magdalena Schnitzler lässt dem schrillen Treiben den nötigen Raum zur freien Entfaltung, liebevoll sind die Bühne und die Kostüme (Jessica Marquardt). Unter Jürgen Goriup agiert das Gärtnerplatz-Orchester umsichtig – kein hohles Zuviel. Als besondere Einlage geistert der berühmte „Höllengalopp“ aus Offenbachs Orpheus in der Unterwelt durch die Takte. Einmal mehr präsentiert sich Offenbach als scharfsinniger Gesellschaftskritiker, was diese Aufführung in jeder Hinsicht verlebendigt – spielerisch und niveauvoll. (Marco Frei)

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