Kultur

Viele der automobilien Ikonen der Wirtschaftswunderjahre stammen aus Bayern. (Foto: Haus der Bayerischen Geschichte, www.altrofoto.de)

03.06.2019

Nymphenschlitten und Goggomobil

Das neu eröffnete Haus der Bayerischen Geschichte erzählt vom modernen Bayern

Regensburg war schon Agilolfinger-Residenz, nämlich im 6., 7. und 8. Jahrhundert, da hauste man in München noch in irgendwelchen Lehmhütten am Isarstrand. So gibt der Oberpfälzer Lokalpatriotismus gerne der oberbayerischen Überheblichkeit heraus und man muss sagen: Er hat recht! Regensburg ist eines der ältesten Herrschaftszentren Bayerns, mit Wurzeln bis zurück in die Römerzeit. Auf genau die traf man auch, als man im März 2015 mit den Aushubarbeiten für das Haus der Bayerischen Geschichte begann, das morgen eröffnet wird. Selbstverständlich wurden die Römerfunde penibel dokumentiert. Dann aber errichtete man auf diesem vergangenheitsdurchtränkten Boden am Donaumarkt jenes Gebäude, das uns nun unsere eigene Geschichte erzählen soll. Und es tut dies auf beeindruckende Art und Weise.

Vielleicht auch deshalb, weil man sich in der überreichen Historie der Bajuwaren nicht heillos verzettelt hat, sondern eine nachvollziehbare Beschränkung vornahm: Konzentriert wird sich auf das moderne Bayern. Das meint das Land in seiner heutigen Gestalt, also mit Franken und Schwaben. All das war ein „Geschenk“ Napoleons, der ja auch zuließ, dass das Kurfürstentum ab 1805 Königreich wurde. „Was davor geschah“, darüber kann sich der Museumsbesucher sozusagen im Schnelldurchlauf in einem 360-Grad-Panorama informieren, auf dem bewegte Bilder mit 3-D-Wirkung ablaufen.

Neun Generationen

In Conférencier-Manier führt der BR-Satiriker Christoph Süß durch 1700 Jahre bayerische Geschichte, die von der Römerzeit über die frühen bayerischen Herzöge bis zum Barock und der deutschen Reichsgründung reichen, letztere „schluckte“ das autonome Bayern quasi endgültig. Das Panorama liegt auf derselben Erdgeschoss-Ebene wie die imposante Empfangshalle mit der rautenförmigen Glasdach-Konstruktion, wo auch der große Löwenbräu-Löwe steht, der auf dem Oktoberfest nicht mehr gebraucht wurde und nun die – vor allem auch jungen – Besucher durch direkte Ansprache ins Museum locken soll.

Von der Empfangshalle aus führt eine Rolltreppe hinauf in die Dauerausstellung. Die Geschichte, die sie erzählt, haben die Macher als Abfolge von neun unterschiedlichen Generationen konzipiert. „Generation 1“ ist diejenige, die als erste in einem Königreich lebte … wobei es gerade einige Attribute dieses royalen Bayern sind, die das (Klischee-)Bild bis heute prägen, angefangen vom Märchenkönig Ludwig II. bis zur sprichwörtlichen G’riabigkeit des „königlich-bayerischen Amtsgerichts“. All dem muss ein „Haus der bayerischen Geschichte“ sicherlich Rechnung tragen und tut es zum Beispiel mit der Präsentation des vergoldeten Nymphenschlittens, mit dem Ludwig II. seine nächtlichen Ausfahrten machte. Sehr schön sind die kleinen Geschichten, die dabei miterzählt werden: Die zwei Leuchten, die die Nymphe hält, waren bereits mit Glühbirnen bestückt (die Batterie verborgen unter der Sitzbank), und das alles zeitlich noch vor der Patentanmeldung von Thomas Alva Edison.

Märchenkönig und beginnendes Industriezeitalter: Zwei Seiten derselben Medaille. Wie es überhaupt der Ausstellung sehr gut gelingt, die äußerst disparaten Aspekte bayerischer Geschichte deutlich zu machen und dabei nichts unter den Teppich zu kehren. Da gibt es zum Beispiel einen Raum, der der Frage nachgeht, ob es so etwas wie bayerisches Bauen, bayerische Architektur gibt. Man schaut auf ein Tableau mit vom 3-D-Drucker hergestellten weißen Miniaturdarstellungen unter anderem von Neuschwanstein und der St.-Martin-Kirche in Landshut, aber eben auch vom Eingangsgebäude zum KZ Dachau. Die dunklen Seiten werden also keineswegs ausgespart, die Abteilungen zu „Münchner Novemberrevolution“ und „Nazi-Diktatur“ unterstreichen dies.

Vor allem die „Generationen 7, 8 und 9“ erleben dann die imposante Erfolgsgeschichte des Freistaats in den Jahren von Wiederaufbau, Wirtschaftswunder und Hightech-Land. Bayerns legendäre Automobilindustrie (Isetta und Goggomobil inbegriffen) dürfen ebenso wenig fehlen wie der erste italienische Pizzabäcker im Bayerischen Wald.

Übrigens stammen 300 der rund 1000 Exponate der Dauerausstellung von Privatleuten, ein breit gestreuter Sammelaufruf hatte dafür gesorgt. Und im Depot, das zum „Haus der bayerischen Geschichte“ ebenso dazu gehört wie die Bavariathek, eine digitale Datenbank zum Interagieren (beispielsweise von Schulklassen), warten noch viele weitere Stücke auf bereits geplante Wechselausstellungen.
(Bernhard Setzwein)

(Das Museum ist täglich außer Montag von 9 bis 18 Uhr geöffnet.)

(Eine interaktive Landtagssitzung und die Kältemaschine von Carl Linde - Fotos: Haus der Bayerischen Geschichte, www.altrofoto.de)

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