Kultur

Ganzkörpergeschützt wie heutiges Medizinpersonal in Corona-Zeiten waren die Ärzte während Pestepidemien und -pandemien nicht. Ihr Schutz bestand vor allem aus Masken für den Kopf. Hier ein Ausschnitt aus der Darstellung eines Seuchenarztes (1705) - die Gesamtansicht finden Sie im Beitrag. (Foto: SZPhoto)

09.04.2020

"Ob man vor dem Sterben fliehen möge"

Seuchen und Epidemien sind tief in unserem kollektiven Gedächtnis verankert. Ein Streifzug durch die Jahrhunderte, in denen die Pest wütete

Vielerorts im Freistaat stehen Pestsäulen am Wegesrand – ob in Ismaning, Kirchseeon oder Eching am Ammersee. Die meist granitenen Bildstöcke sollen an die Zeit der Pest erinnern. Häufig sind sie der hl. Muttergottes gewidmet, der Fürsprecherin in Notzeiten. Aber selten sind sie so figurativ ausgearbeitet wie das Wahrzeichen im schwäbischen Wallerstein: die Dreifaltigkeitssäule, eine Votivspende von Graf Anton Karl von Oettingen-Wallerstein aus dem Jahr 1722. Deren Erschaffer, der Bildhauer Johann Georg Bschorer aus Oberndorf am Lech, orientierte sich an den böhmischen Pestsäulen und der Pestsäule am Graben in Wien.

Blaue Flamme der Pest

Angesichts ihrer ungeheuren Ausmaße und Folgen wurde die Pest nicht nur von Theologen als kollektive Strafe Gottes für die sündige Menschheit aufgefasst. Die Kirche bewegte sich damit zwischen moralischer Disziplinierung und Angstprävention. Für das gemeine Volk entsprang der das Übel verursachende Dämon einem kleinen blauen Flämmchen. Um einen Pestkranken darzustellen, wurden in der katholisch geprägten bildenden Kunst der Barockzeit kaum Pestbeulen abgebildet, vielmehr wurden die Betrachter mit solch standardisierten Attributen auf die Krankheit aufmerksam gemacht.

Mitte des 16. Jahrhunderts hatten sich die Kirchenvertreter unter anderem darauf geeinigt, dass christliche Kunst nichts Unsittliches, Lüsternes oder bisher Ungewohntes enthalten solle.

In einem Gutachten für den französischen König Philipp VI. identifizierte die damalige wissenschaftliche Elite die Ursache der grassierenden Pestepidemie in der besonderen Planetenkonstellation zum 20. März 1345: Saturn, Jupiter und Mars waren in einen 40-Grad-Winkel zum Sternenbild des Aquarius in Konjunktion getreten.

Wo bleibt Gottes Gerechtigkeit?

Selbst einer der wichtigsten Vordenker der Aufklärung, Gottfried Wilhelm Leibniz, versuchte die Erklärung für die Frage zu finden, wo Gottes Gerechtigkeit angesichts des vielen Übels auf der Welt Gottes bleibe. An und für sich keine neue Problemstellung, bereits Epikur formulierte das Problem in seinen Überlegungen. Im ausgehenden 17. Jahrhundert – dem Jahrhundert der Kriege und Seuchen – entwarf Leibniz dann aber den Begriff der „Theodizee“. Die von Gott frei geschaffene Welt ist nicht perfekt, dennoch sie ist die beste aller möglichen Welten. Alle Übel, die nicht durch die sündhafte Abkehr von Gott, sondern durch das Walten der Natur verursacht sind, sind einer unabdingbaren Notwendigkeit geschuldet, sozusagen systemimmanent.

Auch Martin Luther setzte sich 1527 in der Schrift Ob man vor dem Sterben fliehen möge mit der Pest als Strafe Gottes auseinander. Inwieweit muss man sich als guter Christ einer solchen Gottesprüfung aussetzen, oder darf man vor ihr fliehen? Unabhängig vom religiösen Credo reflektiert die Frage die grenzenlose Ohnmacht, welcher sich die Menschen diesen Krankheiten gegenüber ausgesetzt fühlten. Der Ausbruch der Pest hatte in Wittenberg innerhalb von 14 Tagen 18 Todesopfer gefordert. Kurfürst Johann riet Luther, mit der Fakultät nach Jena überzusiedeln. Doch Luther blieb. Mit seinem Weggefährten Johannes Bugenhagen und zwei Kaplänen hielt er Vorlesungen und Predigten und versah seinen Dienst als Seelsorger.

Flucht aufs Land

Raus aus der Großstadt, vermeintlich geschützt aufs Land, war nicht nur für Luther ein verlockender Gedanke. Boccaccio, einer der Begründer der europäischen Erzähltradition, löste den Konflikt anders. Die Novellen des Decamerone gelten als die Wiege der europäischen Literatur. Als 1348 in Florenz die Pest wütete, begeben sich sieben Frauen und drei Männer ihrer Gesundheit wegen, aber auch, um eine schöne Zeit zu verbringen, in die sinnliche Atmosphäre eines ländlichen Anwesens. Das Leid sollte abgemildert werden, man erzählte sich Geschichten, die Hoffnung spenden sollten.

Den Wettstreit zwischen zwei starken, evolutionär erfolgreichen Gegnern, den Mikroben und dem Menschen, gibt es bereits seit alters her. Schon das Alte Testament berichtet über die Plagen, die Ägypten vor dem Auszug der Israeliten heimsuchten. Das jüdische Pessachfest (8. bis 16. April) erinnert heute noch daran. Schriftdokumente belegen, dass während der mittleren Bronzezeit im Hethiter-Reich eine Seuche wütete, die mindestens 20 Jahre anhielt. Fast ein Jahrtausend später, um 430 v. Chr., begann in Athen eine schwere Epidemie, die fünf Jahre anhielt und zu einem dramatischen Bevölkerungsrückgang mit verheerenden wirtschaftlichen Konsequenzen führte. Damit wurde der militärische und politische Niedergang des Stadtstaats eingeläutet.

Als erste große Epidemie gilt die sogenannte Antoninische Pest zur Zeit des römischen Kaisers Mark Aurel (161 bis 180 n. Chr.). Um 541 rollte schließlich von Konstantinopel aus die größte antike Pestepidemie über Europa. Nach dem damaligen byzantinischen Kaiser Justinianische Pest genannt, hatte die wohl erste Pestpandemie über zwei Jahrhunderte weite Teile Europas, Asiens und Afrikas fest im Griff – mit bis zu 100 Millionen Todesopfern. Im 8. Jahrhundert ebbte die Justinianische Pest ab. Danach hatte Europa mehrere Jahrhunderte lang Ruhe vor der Seuche.

Zwischen 1348 und 1352 wurde Mitteleuropa von der schwersten Pestepidemie seiner Geschichte überrollt. Die Seuche, die sich zur Lungenpest entwickelte, vernichtete mindestens ein Drittel der damaligen Bevölkerung. Nach Schätzungen waren rund 25 bis 50 Millionen Menschen dem „Schwarzen Tod“ zum Opfer gefallen. In den nächsten 400 Jahren folgten in unregelmäßigen Abständen immer neue Pestepidemien und verbreiteten Angst, Schrecken und Tod. Wirksame Medikamente fehlten.

Seit jeher war die Flucht ein probates Mittel zum Schutz gegen Seuchen, zumindest für die, die es sich leisten konnten. Als im August 1562 die Pest nach Nürnberg kam, wechselte der Stadtrat samt Familien nach Nördlingen, wo sie ein halbes Jahr blieben, bis die Pest abgeklungen war. Zur Erinnerung hinterließen sie ein bemaltes Holzschild mit den Wappen der 31 Patrizierfamilien für die dortige Ratstrinkstube.

Schon im 13. Jh. v. Chr. erkannte man die Notwendigkeit, zur Verhütung und Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten besonders kompetentes Personal mit entsprechenden Befugnissen einzusetzen. Bereits im dritten Buch Mose (Kapitel 13) ist festgehalten, dass sich zum Ausschluss von Lepra jede Person mit Symptomen einem Priester zeigen musste. Dieser entschied über weitere Maßnahmen.

Im Mittelalter waren es die Pestdoktoren, gekleidet in einen langen schwarzen Umhang mit einer charakteristischen Maske. Der lange Schnabel der Nase diente zur Eigensicherung als Abstandshalter zu den Kranken. In ihm befanden sich Kräuteressenzen, mit Essig getränkte Schwämmchen und Aromaöle, die vor dem Pesthauch schützen sollten.

Erkrankte isolieren

Quarantäne war schon früh ein probates und wirksames Mittel. Während in Florenz vier Fünftel der Bürger starben, waren es in Mailand nur etwa 15 Prozent, was der entschlossenen Maßnahme der Stadtführung zu verdanken war, Türen und Erdgeschossfenster jener Häuser zuzumauern, in denen Erkrankte lebten. Die Erfindung des Schutzes durch eine angeordnete Isolierung wird Venedig zugeschrieben. Allerdings sollen bereits 1318 in München die ersten von der Stadt bezahlten Ärzte und Apotheker bestimmt worden sein, unter Quarantäne stehende Personen mit Lebensmitteln zu versorgen.

Während des 14. Jahrhunderts blieben große Teile Polens von der Pest weitgehend verschont. Dafür verantwortlich wird die vorausschauende Grenzschließung Kasimirs des Großen gemacht. Präventiv ging die Habsburger Monarchie vor. An der fast 2000 Kilometer langen Grenze zum Osmanischen Reich legte sie einen Grenzkordon an: zur militärischen Sicherung und als sanitätspolitische Maßnahme. Die Grenzwache hatte die Seuchenprävention zur Nebenpflicht und managte im Kontaktraum das Quarantänesystem. Im Übrigen erfolglos.

Der lange Schatten der Epidemien zieht sich durch mehrere Jahrtausende. Schon früh sicherte erfolgreiche Seuchenabwehr medizinische Deutungsmacht und Kompetenz. Historische Gelübde und Prozessionen sind dafür bis heute ein Zeugnis, wie in Oberammergau oder das über 400 Jahre alte Sebastiani-Gelübde in Oberschwarzach, das mittlerweile als immaterielles Kulturerbe anerkannt ist.
Das Chronogramm der erwähnten Pestsäule in Wallerstein stimmt tröstlich: „Die wüste Seuche sei fern von Heimat und Haus.“ (Rebecca Koenig)

Abbildung:
Ganzkörpergeschützt wie heutiges Medizinpersonal in Corona-Zeiten waren die Ärzte während Pestepidemien und -pandemien nicht. Ihr Schutz bestand vor allem aus Masken für den Kopf. (Fotos: SZPhoto)

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