Kultur

Tyrann sein ist ziemlich anstrengend: Norman Hacker spielt überzeugend den König von Theben, der dringend einen Psychiater bräuchte. (Foto: Matthias Horn)

16.12.2016

Onkels Albtraum

Hochsolide Belanglosigkeit: Neuenfels’ "Antigone"-Inszenierung am Münchner Residenztheater

Zumindest Hobby-Ornithologen, die gerne Vogelstimmen identifizieren, kommen an diesem Abend auf ihre Kosten. Denn über Lautsprecher wird immer wieder mal Zwitschern und Krächzen eingespielt, das, wie auch Donnergrollen und andere Töne aus dem Off, höchst symbolträchtig als drohendes Schicksals-Warngeräusch vom Götter-Olymp herab zu verstehen ist. Weshalb es auch König Kreons stumme Leibwache, eine Art Zorro-Truppe mit schwarz aufgeschminkten Augenmasken, stets heftig zusammenzucken lässt. Den Herrscher allerdings nicht, der hat sich vordergründig im Griff. Trotzdem merkt man ihm an: Tyrann sein ist ziemlich anstrengend. Kaum dass er einen seiner markigen, wie eingelernt wirkenden Diktatorenauftritte hingelegt hat, muss dieser König von Theben sich selbst alle Nase lang hinlegen. Erschöpft schläft er ein, schreckt wieder hoch und braucht sofort ein Glas Wasser, um seine ausgetrocknete Kehle zu benetzen und seine Stirn zu kühlen. Keine Frage, dieser Mann, dem die Macht unerwartet zugefallen ist, müsste schleunigst zum Psychiater, um seine Herrscher-Psychose behandeln zu lassen. Denn vor lauter innerer Unsicherheit gibt er sich besonders hart und entschlossen, um nur ja seine Schwäche zu verbergen.

Handzahmer Altmeister

Norman Hacker gelingt es in der Rolle dieses Tyrannen, die Fassade des lauernden Fieslings und Cholerikers verbissen aufrechtzuerhalten, aber gerade dadurch ihren pathologischen Wurzelgrund erahnbar zu machen. Diese psychologische Auffassung der Kreon-Figur ist aber auch schon der einzige interpretatorische Ansatz in einer Inszenierung, die ansonsten als gediegene Klassikerpflege daherkommt. Dabei hatte man eigentlich auf ein echtes Bühnenereignis am Münchner Residenztheater gehofft: Sophokles’ Antigone, dieser Ur- und Über-Text der europäischen Dramatik, inszeniert vom Altmeister Hans Neuenfels, einem der Gründerväter des Regietheaters, der, anders als seine einstigen Rebellen-Kollegen, nicht zum Fossil erstarrt, sondern seinen Idealen treu, lebendig und unkonventionell geblieben ist. Aber Neuenfels gibt sich diesmal überraschend handzahm. Das Ergebnis ist eine Inszenierung von hochsolider Belanglosigkeit mit einer Prise Theaterästhetik von gestern. Alles sehr gekonnt, alles sehr goutierbar, alles schnell vergessen, ohne dass man im Tiefsten angerührt wäre. Dabei geht es erst mal ganz antikisch los: Ein weißer Vorhang verhüllt die Bühne; mit seinem schlichten, edlen Faltenwurf erinnert er an griechische Gewänder. Dazu gibt’s Meeresrauschen aus den Lautsprechern. Aber die aufkeimende Urlaubs- und Ägäis-Stimmung wird jäh gestört durch eine junge Frau, die an der Rampe in der Mitte kauert und ihren Kopf immer wieder wummernd auf den Bretterboden knallt. Es ist Antigone, die Nichte Kreons, der Valery Tscheplanowa eine herrlich flackernde Intensität gibt, und die sich als Onkelchens Albtraum erweist. Denn sie will ihren Bruder Polyneikes bestatten, der (nicht grundlos) gegen seine Heimatstadt Theben in den Krieg zog – und verlor. Seine Leiche liegt noch auf dem Schlachtfeld vor der Stadt, den wilden Tieren ausgeliefert, weil König Kreon bei Todesstrafe verboten hat, den Staatsfeind Nummer eins gemäß den Riten zu beerdigen. Natürlich hat der fundamentale Konflikt zwischen Moral und Machtkalkül, der hier dargestellt ist, durch die Jahrtausende bis heute nichts an Brisanz verloren, sodass hektische Aktualisierungen tatsächlich unnötig sind. Aber gerade unsere enge Vertrautheit mit dem Thema würde es erfordern, dass eine Inszenierung uns überrascht, uns jenes Befremden zurückgibt, durch das die bekannte Geschichte wieder so unerhört, erschütternd, skandalös würde, wie sie es eigentlich ist. Stattdessen sieht man auf der geschmackvoll-schlichten Bühne von Katrin Connan ramponierte Götterstatuen in modernen schwarzen Statuentransportkisten rumstehen, die unfreiwillig zum ironischen Selbstkommentar einer Aufführung werden, in der die Antike wie bestellt und nicht abgeholt durch den Raum geistert. (Alexander Altmann)

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