Kultur

Was aus der Photothek digitalisiert und online gestellt wird, entscheidet das Team des Zentralinstituts. „Wir sind uns in diesem Projekt so richtig bewusst geworden, welch historisch Wertvolles sich in unserem fotografischen Schatz befindet.“ So auch dieser Salzpapierabzug von 1858/1862, der den Viktualienmarkt mit der noch mittelalterlich anmutenden Randbebauung zeigt. Möglicherweise machte der Hoffotograf Georg Böttger die Aufnahme - hier ein Ausschnitt, die Gesamtaufnahme und weitere Motive finden Sie in der Bildergalerie am Ende des Beitrags. (Foto: ZI)

03.12.2021

Fantastische Kunstreise

Das Zentralinstitut für Kunstgeschichte präsentiert Tausende Motive aus seiner singulären Photothek in „Google Arts & Culture“

Ganz München ist eine Riesenbaustelle, hat man seit geraumer Zeit den Eindruck. Kräne, wohin man schaut. Es geht nicht nur in die Tiefe – vor allem wird auch höher und höher gebaut. Da verschwindet vieles aus dem Stadtbild: nicht allein durch Abriss, selbst was denkmalgeschützt ist, wird nicht selten optisch in den Schatten neuer Superarchitekturen verdrängt. Proportionen verschieben sich, ebenso die Dimensionen städtischen Lebens. Schaut man sich deshalb so gerne historische Fotos aus der Stadt an, um in einer virtuellen Zeitreise Kontinuitäten aufzuspüren, den Nährboden heimatlicher Verwurzelung? Das muss nichts mit einem Wegträumen in gute alte Zeiten zu tun haben – dass ein solches obsolet ist, müsste hinlänglich bewusst sein.

Bildbände mit historischen Ansichten gibt es zuhauf, Renner sind inzwischen jedoch Online-Portale, die mit riesigen Fotokonvoluten aufwarten – dank inzwischen urheberrechtsfreier Verwendung oder anderweitiger Vertragslösungen. Überragende Online-Quellen fürs fotografische München-Gedächtnis sind die Bildarchive der Bayerischen Staatsbibliothek und des Münchner Stadtarchivs – neu hinzugekommen ist die Photothek des Zentralinstituts für Kunstgeschichte (ZI). Nicht, dass diese Spezialforschungseinrichtung (die einzige außeruniversitäre zur Kunstgeschichte in Deutschland) erst jüngst ein Bildarchiv aufgebaut hätte – das existiert schon quasi so lange wie die Einrichtung selbst, also seit 1946.

Allerdings musste man sich bislang ins ZI bemühen, um vor Ort den analogen Bildfundus zu sichten. Fachkreise kennen diese erste Adresse zur Recherche am Münchner Königsplatz – im heutigen Haus der Kulturinstitute, wo sich einst die NSDAP-Verwaltung breitgemacht hatte und wo nach dem Krieg die amerikanische Militärregierung einen Central Collecting Point eingerichtet hatte, um das von den Nazis gehortete Kunstgut zusammenzuführen. Einer breiteren Öffentlichkeit – sicher auch manch wissenschaftlicher Einrichtung jenseits der Kunstgeschichte – ist das über eine Million Medien umfassende Bildarchiv das Zentralinstituts hingegen wohl kaum bekannt.

Google auf ewig dankbar

Klar, von einem Online-Angebot seiner Schätze träumte auch das ZI-Team. Aber das ZI ist viel zu klein, um ein solches Riesenprojekt selbst stemmen zu können. Die Kapazitäten zum Digitalisieren fehlen, ebenso die technische Infrastruktur. „Alles was mit IT zu tun hat, müssen wir an Dienstanbieter nach draußen vergeben. Das kostet“, sagt Ralf Peters, der seit rund zwei Jahrzehnten die Photothek betreut. Und der nun – das könne er gar nicht oft genug betonen – überglücklich und „auf ewig dankbar“ ist: Google greift dem ZI nämlich unter die Arme, transportiert portionsweise die analogen Fotografien in sein Münchner Digitalisierungszentrum und bereitet sie dort fürs Internet auf. Jüngst gingen etwas über 16 000 Fotos aus München im Portal Google Arts & Culture online. „Wer das von draußen, also außerhalb Deutschlands, anklickt, bekommt sogar eine englischsprachige Version“, freut sich Peters.

Man argwöhnt: Was hat Google von dieser fürs ZI einmaligen Chance? „Dem Konzern geht es wohl vor allem darum, viele unterschiedliche und große Datenmengen fürs Machine Learning zur Verfügung zu haben, um Metadaten weltweit miteinander in Verbindung zu bringen“, überlegt Peters. Wenn also jemand in Südamerika über protestantische Kirchen recherchiert: Vielleicht liefert ihm das Suchergebnis dann auch den ZI-Photothek-Eintrag zur Kirche St. Matthäus in München, jenem ersten evangelischen Kirchenbau der Stadt aus dem Jahr 1833, der 1938 auf Drängen Adolf Hitlers aus vorgeblich verkehrstechnischen Gründen dem Erdboden gleichgemacht wurde?

Die Tausenden von Metadaten zu den Fotografien musste das ZI-Team selbst erstellen – eine jahrelange Kärrnerarbeit. „Aufs Ergebnis sind wir nun schon stolz“, verrät Peters. Vor allem sind das nicht nur die „Beschriftungen“ zu den 16 000 Fotomotiven, die aktuell online zu sehen sind: „In einem halben bis dreiviertel Jahr kommen noch einmal 80 000 dazu“, stellt Peters in Aussicht. Weitere 180 000 Digitalisate warten auch auf Bearbeitung und Überführung in eine „eher wissenschaftliche Datenbank“.

Die Metadaten werden händisch in Tabellen eingetragen – was ebenso per Hand und nicht, wie man annehmen könnte, automatisiert von Google erledigt wird, ist die Übernahme der recht langen ZI-spezifischen Motivkennungen. Ralf Peters erklärt den Vorteil: „Der Dateiname der digitalisierten Fotografie hält den genauen Standort des analogen Abzugs in der Sammlung fest. Hausintern kann also der gesamte digitale Bestand auch ohne recherchierbare Metadaten so konsultiert werden wie der analoge. Das ist hoffentlich nur ein Interimsstadium, bis wir eine vernünftige Gesamtdatenbank aufgebaut haben.“

Sagenhafte Auswahl

Aber schon das aktuelle ZI-Angebot auf Google Arts & Culture bietet eine phantastische Auswahl. Beim ersten Scrollen fällt der – grob skizzierte – Unterschied zu den anderen beiden Anbietern historischer München-Fotografien auf: Beim Bildarchiv der Bayerischen Staatsbibliothek wird man vor allem zu politischen Anlässen und Zusammenhängen fündig, im Fotoarchiv des Stadtarchivs pulst nur so das städtische Leben, beim ZI hingegen steht der kunsthistorische Aspekt im Vordergrund. Hier geht es um die Architekturen und um Kunstwerke, das städtische Drumherum ist eher Nebensache – freilich ein ebenfalls spannendes „Beiwerk“: Google macht das weite Hineinzoomen möglich, sodass man bisweilen in Fensterauslagen lugen, die Kleidermode, Plakatwände oder Fahrzeugmodelle studieren kann – oder sich dann doch wehmütig in die „guten alten Zeiten“ des Münchner Verkehrsaufkommens ohne Staus hineinträumt.

Kunterbuntes Arrangement

Die technisch exzellente fotografische Fokussierung auf Bauwerke von innen und außen – momentan überwiegen noch Kirchenbauten – lässt diese bisweilen beinahe wie Modelle erscheinen, was ein gestochenes Schwarz-Weiß unterstreicht. Hier geht es nicht um pittoresk-malerische Anmutungen – von Interesse sind vielmehr Strukturen und Baudetails. Immer wieder sind auch einzelne Elemente hervorgehoben: da mal ein Erker, dort eine Turmspitze, dann wieder ein Bodenmosaik oder ein Glasfenster.

Stundenlang kann man sich in diesem Bildangebot verlieren – allerdings gibt es ein Manko: Die Bildfolge ist willkürlich in einem Endlosband arrangiert. Eine Aufnahme vom Marienplatz aus den Jahren von 1885/1895 mit einer Phalanx von Kutschen steht neben einer der Jesuitenkirche mit dem Verkehr der Neuhauser Straße von 1930/1940. Das Hofbräuhaus im Jahr 1908 ist eingerahmt von einer Innenaufnahme der Allerheiligen-Hofkirche (1892) und einer Außenaufnahme von Schloss Nymphenburg (1950/1960), darunter entdeckt man neben einem Mietshaus am Regerplatz (1971) ein Foto, das die Kreuzblume des Dachreiters zeigt, bevor sie am 9. Oktober 1880 auf der Giesinger Kirche Heilig Kreuz installiert wurde. Und direkt neben dem Blick auf chinesische Tapeten in einem Schlafzimmer von Schloss Nymphenburg (1930/1940) sieht man die Bibliothek und den großen Lesesaal des Zentralinstituts für Kunstgeschichte im Haus der Kulturinstitute (1984).

Das kunterbunte Arrangement hat einerseits den Reiz, auf manch Interessantes zu stoßen, ohne dass man danach gesucht hätte – allerdings muss man nach einer Pause jedes Mal von vorne mit dem Scrollen beginnen, da erlahmt allmählich die Neugier. Es hakt auch (noch) bei konkreten Suchanfragen: Gibt man beispielsweise „Wiener Platz“ ein, erscheinen zwei Motive eines Mietshauses, nicht aber jene des Weinhäusls, das dort die Hausnummer 4 hat. Zu diesem Anwesen gelangt man, wenn man konkret „Weinhäusl“ oder „Herbergshaus“ eingibt – nur „Herberge“ genügt nicht. Dieses Stichwort oder „Kreppe“ führt wiederum zu einem anderen Herbergshaus um die Ecke.

Stoff fürs Machine Learning

„Ja, wir haben selbst schon bemängelt, dass die aktuelle Struktur ungünstig ist“, bedauert Peters und entschuldigt Google Arts & Culture: „Ursprünglich war diese Plattform als eine Art Showcase für kleinere Bestände konzipiert, nicht aber für solch umfangreiche, wie wir nun bieten.“ Google hat also genug Stoff fürs Machine Learning. Ralf Peters und das ZI-Team wollen unterdessen auch noch weiter an den Tabellen- und Spalteneingaben feilen, damit man auch mit diesem Online-Angebot 2022 beim Jubiläum „75 Jahre Zentralinstitut für Kunstgeschichte“ glänzen kann. (Karin Dütsch)

Information: Alle bislang online gestellten Digitalisate des Zentralinstituts für Kunstgeschichte unter https://artsandculture.google.com/search/asset/?p=zentralinstitut-fuer-kunstgeschichte&em=m02h6_6p&hl=de&categoryid=place
Eine Auswahl unter https://artsandculture.google.com/story/0gVRltploi999Q?hl=de

Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Katharina-von-Bora-Straße 10, 80333 München. www.zikg.eu

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