Kultur

Landschaft bei Essen und die Zeche „Rosenblumendelle“ (1928). Hier ein Ausschnitt aus der Fotografie - die Gesamtansicht und weitere Motive in der Bildergalerie am Ende des Beitrags. (Foto: Renger-Patzsch)

13.01.2017

Pott ohne Pathos

Die Pinakothek der Moderne zeigt Ruhrgebietslandschaften in Fotografien von Albert Renger-Patzsch

Der Blick des Fotografen ist nie neutral, ohne Wertung. Diese sticht mal plakativ ins Auge, mal ist sie subtiler. So wie bei den Aufnahmen der Ruhrgebietslandschaften von Albert Renger-Patzsch (1897 bis 1966, in Würzburg geboren) aus den späten Zwanziger- und beginnenden Dreißigerjahren, die in einer Ausstellung der Pinakothek der Moderne in München gezeigt werden. Da ist vordergründig kein Kniefall vor den „Tempeln“ der Industriekultur zu sehen, andererseits kein Anprangern von sozialen Missständen und ökologischen Grausamkeiten. Seltsam steril, leblos erscheinen seine Landschaften, in denen Menschen kaum vorkommen oder allenfalls mit der Lupe auszumachen sind. Selbst Autos und die Maschinen der Bergbauindustrie sind nur indirekt durch Reifenspuren erahnbar. Aus heutiger Sicht würde man nur allzu gerne eine entmenschlichende Arbeitswelt und eine gigantomanische Überformung der Natur herauslesen. Aber Renger-Patzsch hatte mit seinen fotografisch äußerst sorgsam ausgewählten Motiven, die nie in die Zechen hineinführen, sondern die Übergangszonen zwischen Industrieanlagen, Siedlung und Natur dokumentieren, etwas anderes im Sinn: Seine Landschaften sollten aufs Wesentliche entkleidete Modelle sein – ihm schwebte eine Art Atlas deutscher Landschaften vor. Er suchte die Abstraktion, den Landschaftstypus visuell zu definieren. Dazu genügten ihm relativ wenige Elemente: Brachflächen, Halden, Bergmannshäuser und Mietskasernen, alte Fachwerkhäuser, Fabrikanlagen, Schlote, Straßenlaternen, Zäune, Bäume, Straßen und Wege. Er setzt sie in Beziehungen zueinander, sie strukturieren die Bilder dynamisch zwischen Vorder- und Hintergrund, Enge und Weite, Dichte und Leere.

Pittoreskes und Bizarres

Renger-Patzsch war ein Meister des Bildausschnitts und der Lichtinszenierung – das sind die ureigenen Mittel der Fotografie, zu werten, Emotionen zu evozieren. Aber Renger-Patzsch lag die expressionistische Bildsprache fern. Der Neuen Sachlichkeit verpflichtet, bediente er kein optisches Pathos. Vielmehr dirigiert er den Betrachter unaufdringlich durch den „Pott“, stellt einen Fundus an Perspektiven und möglicher Sichtweisen zur Verfügung – auch was die Interpretation angeht. Seine weniger kühle, als vielmehr respektvolle Distanz überlässt es dem Betrachter, Pittoreskes, Wehmütiges, Verschleierndes, Besänftigendes, Bizarres, Bedrohliches und vieles mehr zu imaginieren. Die Aufnahme von der Zeche „Victoria Mathias“ in Essen zum Beispiel: Der Blick geht durch eine Backsteinhäuserschlucht in hartem Licht-Schatten-Kontrast auf die in diffuses Licht getauchte Zeche. Sie scheint in die Ferne gerückt, als ob man die latente Bedrohung abmildern wollte, dass die Anlage mit den ins schier Unermessliche ragenden Schloten ihre unmittelbare Nachbarschaft, die Menschen und das kleine Haus samt ländlichem Gartenzaun einfach wegschieben könnte. Oder der Blick auf die Zeche „Rosenblumendelle“: Hat der geradezu poetische Name den Fotografen zu der markanten Akzentuierung im Bildausschnitt bewogen? Ein kleines, altes Fachwerk-Bauernhaus zieht den Blick auf sich. Als wollte Renger-Patzsch diesem Zeugen aus einer anderen, vorindustriellen Zeit nicht die Bühne stehlen, lässt er die Industrieanlage, die sich im Hintergrund den ganzen Horizont entlang zu ziehen scheint, im Dunst verschwinden. Die Lesart kann auch anders sein: Die Idylle ist scheinbar, das aus der Bildmitte an den Rand gerückte Häuschen mit seinen windschiefen Fensterläden verfällt, ist am Ende – der Weg davor und im Zentrum der Bildkomposition führt in die Zukunft, die am Horizont dräut.

Unterm Brennglas

Spannung erhalten viele Fotografien zudem durch die Formate der Abzüge. Manche Aufnahmen sind nur postkartengroß: Das bannt Großes wie unterm Brennglas, zwingt zum ganz Nahetreten. Ein bisschen ist das auch, als würde der Voyeurist durchs Guckloch etwas Exotisches beobachten. Einige Motive sind im Format 30 x 40 cm auf edlem Chamoispapier abgezogen und scheinen für eine Ausstellung vorgesehen gewesen zu sein. Rund 80 Aufnahmen von Ruhrgebietslandschaften sind in der Ausstellung zu sehen – sie stammen aus einem Werkkomplex, den der gefragte Fotograf ganz im Gegensatz zu seinen sonstigen Arbeiten ohne Auftrag schuf. Das Konvolut gehört zum Renger-Patzsch-Archiv des Kölner Galeristenehepaars Ann und Jürgen Wilde; das Stifterpaar hat seine umfangreiche Sammlung der Pinakothek der Moderne überantwortet. (Karin Dütsch) Information: Bis 23. April. Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40, 80333 München. Täglich außer Mo. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr. www.pinakothek.de

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