Kultur

Instrumente des Walther-Straub-Instituts für Pharmakologie und Toxikologie, die im Frühjahr 2019 an das Universitätsarchiv abgegeben wurden und bei denen es sich um den einzigen erhaltenen historischen Gerätebestand eines medizinischen Instituts an der Ludwig-Maximilians-Universität handelt: unter anderem eine Atmungspumpe zur Beatmung von Versuchstieren (rechts) und ein Wärmetisch für Meerschweinchen (ganz rechts). (Foto: Claudius Stein)

20.12.2019

Pracht oder Plunder?

Immer mehr historisches Lehrmaterial der Ludwig-Maximilians-Universität lagert in deren Archiv ein. Experten überlegen, was man damit tun kann

Was früher Schätze der Forschung waren, gilt heute mit- unter als lästiger Plunder: die Lehrsammlungen der Ludwig-Maximilians-Universität München. Wie soll es mit den Unmengen an Dingen, die ausgedient haben, weitergehen? Ein drängendes Thema – im Januar kümmert sich eine Expertenrunde darum.

Das sind keine Raubgüter im heutigen Verständnis, die in manchen Museen und staatlichen Sammlungen zu entdecken sind, aber den Häusern gar nicht gehören – ohne dass man das oft weiß. Und mit denen sich inzwischen auch die Expertin für Provenienzforschung, Antoinette Maget Dominicé, beschäftigt – sie ist an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München seit 2018 die erste Juniorprofessorin für „Werte von Kulturgütern/Provenienzforschung“.

Es geht um Exponate, die einmal der Stolz der Ingolstädter, Landshuter, später der Münchner Universität waren, und die heute eher als Last erscheinen: die Lehrsammlungen. Einst waren das hochmoderne und präzise funktionierende physikalische Apparate, medizinisches Gerät, Münz- und Medaillenschätze, Dinge aus der Welt fremder Völker, hochkarätige europäische Kunst – so etwas wie das wissenschaftliche Tafelsilber.

Manches hat die Uni früher auch schon mal gezwungenermaßen verhökert, manches im Laufe der Zeit einfach abgegeben: zum Beispiel ans Deutsche Museum, ans Bayerische Nationalmuseum, ans vormalige Völkerkundemuseum (heute Museum Fünf Kontinente), die Staatliche Graphische Sammlung. Nicht immer wissen die Institutionen, die diese Artefakte heute verwahren, überhaupt vom universitären Ursprung – früher ist man in Sachen Verträge (leihen, schenken) nicht so akkurat gewesen. Auch dies werfe viele Fragen auf, was über die Biografie der Dinge hinausgehe und auf den Wissenschaftsbetrieb an sich verweise, sagt Antoinette Maget Dominicé: „Zeugt das von einem üblichen und lebendigen Austausch zwischen den Institutionen in München, zum Beispiel auch mit der Akademie der Wissenschaften?“

Freilich stellt sich auch die Frage: Wie hielt es die Uni mit ihrem Schatz, den sie aus der Hand gab – oder in Kisten und Keller verbannt, wenn nicht gar schnöde entsorgt hat? An der Universität selbst kümmert man sich erst in jüngerer Zeit um den Verbleib des historischen Lehrmaterials. Dabei stehen gar nicht mal die Prachtstücke des einstigen Lehrbetriebs im Mittelpunkt, an denen andere Interesse hatten, um eigene Sammmlungen zu ergänzen: „Die sind in den Museen und Staatssammlungen allein aus konservatorischen Gründen meist besser aufgehoben als in der Universität“, räumt Claudius Stein vom Uniarchiv ein, das die Zentrale auch für die alten Lehrsammlungen geworden ist.

Kein Platz mehr

Aber worum man sich dringend kümmern muss, ist all das „unattraktive“ Sammlungsgut, das in den universitären Instituten verblieb und mit dem diese nichts mehr anfangen können – der Inhalte ebenso wie des Platzbedarfs wegen. Claudius Stein zieht Kästen voller Zettel und Karteikarten hervor, auf denen Wörter fremder Völker penibel notiert sind, handschriftlich oder mit aus der Reihe tanzenden Typen getippt – heute klicken sich Sprachforscher durch Datenbanken, recherchieren darin in Sekundenschnelle. Oder was wollte ein heutiger Astrophysiker noch mit solchem physikalischen Gerät erkennen können, das in den Magazinvitrinen steht? Den Nimbus des Nonplusultra für Forscher hatte es nur um 1750.

Oder in der Anatomie, der Tiergynäkologie, der Botanik und der Genetik: Bildgebende Verfahren haben es weitgehend überflüssig gemacht, wie früher Gewebe und Organe zu präparieren, um sie in den Seminarstunden herumreichen zu können. „In der Molekularbiologie geht der forschende Blick tiefer, da genügt nicht mehr das Studium bloß des äußeren Erscheinungsbilds“, sagt Claudius Stein und führt in einen Magazinraum, wo sich seit Neuestem Kiste über Kiste mit der forstbotanischen Lehrsammlung türmt. Die kam sogar als Gefahrguttransport, weil sich in der Lieferung allein rund 100 Glasgefäße mit in Alkohol eingelegten Proben befanden. Ob Hexenbesen oder echter Hausschwamm: „Vermutlich findet man hier alle einstmals erforschten gesunden und kranken Erscheinungen von Waldpflanzen“, vermutet Archivar Stein.

Die alten Gläser und handgezimmerten Holzkästen mit Glasdeckeln und dunklen Schildern mit weißen Tuscheschriftzügen: Ja, die optische Anmutung dieses 100 bis 150 Jahre alten Sammlungsguts sei schon schön, freut sich der Archivar. Aber was fängt man damit heute an? Stein spricht inzwischen von Unmengen an Dingen, die ins Archiv abgegeben werden. Freilich zeugt das auch von gewachsener Sensibilität dafür, solche Sammlungen schon irgendwie aufzubewahren. Aber das Problem ist größtenteils nur örtlich verlagert. Denn nur zwei Institute haben eigene – sogar öffentlich zugängliche – Schauräume für ihre Sammlungen: Die Anatomie und das Georgianum mit seinen kirchlichen Skulpturen. Im Gebäude des Instituts für Kunstgeschichte sind einige grafische Blätter zu sehen. Der Rest wandert ins Uniarchiv – aktuell findet man dort fast 25 Sammlungen. Aber derzeit nur zwei Mitarbeiter können sich darum kümmern – neben der eigentlichen Archivarbeit.

Dringend ausmisten

Man wird ums „Ausmisten“ dieses analogen Datenmaterials über kurz oder lang nicht herumkommen. Es ist nicht sinnvoll, alles aufzubewahren – kritisch sieht das Antoinette Maget Dominicé vor allem bei Objekten, zu denen die entsprechende wissenschaftliche Dokumentation oder Inventarverzeichnisse fehlen: „Dann lässt sich der wissenschaftliche Zweck nur noch schwer erschließen. Die Dinge sind ihren Kontexten entzogen worden und dadurch ihrer Aussagekraft beraubt.“

Claudius Stein hat schnell ein Beispiel parat: Sechs dicke Alben voller Fotografien des Volks der Naga aus dem Nordosten Indiens. Man sieht immer zwei Menschen zusammen abgebildet, die Aufnahmen tragen Nummern. Aber ein Verzeichnis dazu fehlt, auch sonstiges Schriftgut über die Entstehung der Sammlung und welcher Forschung sie diente.

Aber was, wenn die Einheit zwischen den Dingen und ihren Dokumentationen nur zufällig aufgebrochen ist und nicht zusammen abgegeben wurde – und Schlüsseltexte noch irgendwann auftauchen? Wer wollte es verantworten, die Dinge vorschnell vernichtet zu haben? Oder im Fall botanischer Präparate: Wer weiß, ob sich darunter nicht das letzte Exemplar einer inzwischen ausgestorbenen Pflanze befindet – von der sich sogar noch die DNA extrahieren ließe? „Die Aussortierung muss auf jeden Fall eine Sache der Fachdisziplinen sein“, fordert die Expertin Maget Dominicé. Denn nur dort vermöge man den wissenschaftsgeschichtlichen Wert der Lehrsammlungen zu beurteilen.

Es geht aber auch um den immateriellen Wert dieser speziellen Kulturgüter. Das rührt am universitären Selbstverständnis der LMU. Man wundert sich über den nachlässigen Umgang mit dem historischen Lehrgut, darüber, dass der Erhalt von einzelnen Persönlichkeiten abhängt und Zufällen überlassen bleibt. Warum hat die Münchner Universität eigentlich kein eigenes Museum, keine wenigstens kleine dauerhafte Schausammlung für ihr historisches Lehrmaterial? Erlangen leistet sich so etwas, Berlin, Tübingen, Heidelberg, Marburg...

„Die Ludwig-Maximilians-Universität ist als traditionelle Institution sehr anerkannt und hat daher wenig Anlass, sich mit einer Tradition zu erklären, zu begründen“, vermutet Antoinette Maget Dominicé. Bei der bevorstehenden Realisierung des Exzellenzkonzepts gebe es hoffentlich Raum für einen Umschwung: Die Auseinandersetzung mit dem weitgreifenden Feld der Cultural Heritage Studies wäre sicherlich zukunftsweisend. „Dies könnte nebst Lehre und Forschung auch den Sammlungen dienen“, glaubt die Wissenschaftlerin. „Es muss ja nicht gleich ein Museum sein, es gibt viele Formen auch der virtuellen Präsentation“, sagt die Professorin und überlegt: „Warum kann man nicht die Unigalerie im Hauptgebäude, die bislang ein Podium für die Kunst ist, auch für andere Institute öffnen?“

Einbinden in aktuelle Lehre

Allerdings wünschen sich Antoinette Maget Dominicé und Claudius Stein nicht nur ein museales Feigenblatt. „Einige Institute wie die Kunstgeschichte und die Ethnologie binden das historische Material tatsächlich wieder in die aktuelle Lehre ein“, beobachtet Claudius Stein.
Dafür will man vor allem im Hinblick auf die 550-Jahr-Feier der LMU 2022 werben. 2016 veranstaltete das Uniarchiv eine Tagung, während der sich Fachleute intensiv mit den Sammlungen auseinandersetzten – soeben ist der umfangreiche Tagungsband dazu erschienen. Am 16. Januar wird überdies unter Beteiligung des Bayerischen Nationalmuseums und der Professur Werte von Kulturgütern und Provenienzforschung ein Expertengespräch stattfinden – programmatisch geht es nun über die „Universitätssammlungen am Scheideweg“. (Karin Dütsch)

Abbildungen:
Das Hemd eines Düsseldorfer „Hofjuden“, der unter dem Einfluss von Ferdinand Orban zum Katholizismus konvertierte, befindet sich heute in der Orban-Sammlung des Bayerischen Nationalmuseums.    (Foto: BNM)

Aus den Unikliniken haben sich kaum historische Instrumente erhalten – kein Wunder in Anbetracht mancher Aufbewahrungssituation. Oft wurden die Geräte schlicht als Altmetall verkauft.    (Foto: Claudius Stein)

Die ebenfalls im Universitätsarchiv verwahrte geologische Sammlung enthält zahlreiche Gipsmodelle von Landschaftsformationen, insbesondere aus Süddeutschland.    (Foto: Jan Kopp)

In der ethnologischen Sammlung des Universitätsarchivs befinden sich umfangreiche Zettelbestände mit Wörtern afrikanischer Stämme.(Foto: Jan Kopp)

Eine Besonderheit im Uniarchiv stellen die Bauteile vom Wiederaufbau des Hauptgebäudes der LMU dar, vorrätig gehalten für künftige Renovierungen.     (Foto: Jan Kopp)


Information: Das öffentliche Expertengespräch „Universitätssammlungen am Scheideweg“ findet am 16. Januar im Bayerischen Nationalmuseum, Prinzregentenstraße 3, 80538 München, statt. Anmeldung unter uam(at)lmu.de

Der Tagungsband „Die Sammlungen der Ludwig-Maximilians-Universität München gestern und heute. Eine vergleichende Bestandsaufnahme 1573–2016“, herausgegeben von Katharina Weigand und Claudius Stein, erschien als Band 10 der Beiträge zur Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München. 522 Seiten, 84 Euro. ISBN 978-3-8316-4774-3

Uni-Sammlungen in Unser Bayern
In Unser Bayern, der kunst- und kulturhistorischen Beilage der Bayerischen Staatszeitung erschienen in jüngerer Zeit folgende Beiträge über die Lehrsammlungen der Ludwig-Maximilians-Universität München:
• Luxuriöses Lehrgut. Mit der Sammlung des Jesuitenpaters Ferdinand Orban bekam die Universität München Wertvolles aus Elfenbein (Nr. 11/12, 2019)
• Disziplin nach Noten. Einige historische Instrumente im Herzoglichen Georgianum erinnern an die Musikpflege der Theologen in spe (Nr. 7/8, 2019)
• Wundersame Lehrstücke. Überraschender Nachweis: Nicht nur der Landesfürst, auch die Universität Ingolstadt hatte Exotika in ihrer Kunstkammer (Nr. 11/12, 2018)
• Wissenschaftliche Kronjuwelen. Über den Verbleib von Schätzen aus den Physikalischen Sammlungen der Ludwig-Maximilians-Universität (Nr. 9/10, 2018)
• Lehrmuseum für Kirchenschätze. Die Kunstsammlung des Herzoglichen Georgianums basiert auf einer ebenso einzigartigen wie eigenwilligen Privatinitiative (Nr. 11/12, 2017)
• Bedrohter Fundus. Wie Lava fließt und fremde Völker sprechen. Die alten Lehr- und Forschungssammlungen der Ludwig-Maximilians-Universität (Nr. 8/10, 2017)

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