Erinnerungen an Radio Free Europe (RFE) und Radio Liberty in Münchens Nachkriegszeit: Wer die noch hat, kann sie auf eine vorgedruckte Karte schreiben und an eine Pinnwand in der Galerie Einwand des Münchner Stadtmuseums heften. Um die Erinnerungen von vier Zeitzeug*innen geht es schon jetzt in einer kleinen, aber inhaltsreichen Ausstellung über die Stimmen aus München im Kalten Krieg in Zusammenarbeit von Stadtmuseum und Jüdischem Museum. Sie stellt das Thema der beiden Radio- und Propagandasender in den Kontext eines großen Forschungsprojekts der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Die von Hannah Maischein kuratierte Ausstellung stellt viele Memorabilia aus den frühen Fünfzigerjahren aus, besonders interessant sind aber vier Videointerviews von Mitarbeiter*innen des Propagandanetzwerks (ein fünftes Video ist im Jüdischen Museum zu sehen).
Sprachenvielfalt praktiziert
Die beiden Sender sammelten Nachrichten der ost- und südosteuropäischen Länder sowie dortiger Radiosender und schickten eigene Nachrichten aus Politik, Kultur und Sport in über 20 Sprachen in den Osten zurück. Dazu brauchte
man Native Speakers, die mit den Ostgebieten und den verschiedenen Sprachen vertraut waren.
Die amerikanische Besatzungsmacht, so erzählt und dokumentiert die Ausstellung, hat diese Leute besonders unter den Displaced Persons gesucht und gefunden, die der Krieg in Europa durcheinandergewirbelt hatte. Wie etwa den inzwischen 91-jährigen Tibor Molek. Er war aus der stalinistisch geprägten Tschechoslowakei geflohen und jüngst für das Projekt der „Nachkriegszeit und Migration in München“ befragt worden. Komplexe Biografien sind da im Sinne von Oral History zutage gekommen, auch mit unterschiedlichen Verwicklungen in die Welt des Kommunismus. Aber Molek hat durchaus auch gerne die vielfältigen Vorteile eines Mitarbeiters des zunächst vom CIA-Geheimdienst finanzierten Radio Free Europe in Anspruch genommen: Wohnungsbeschaffung, Busbeförderung, Einkauf im PX, zu dem sonst nur die Soldaten Zutritt hatten. Manche Mitarbeiter bekamen schließlich auch die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Auf jeden Fall sollte man sich die eindrucksvollen Videos anschauen: mit sehr unterschiedlichen Berufswegen, mit Spionen, die in Radio Liberty eingeschleust und als Doppelspione wieder nach Russland geschickt wurden.
Graphic Novels gibt es zu jeder der vier Biografien, Textfahnen sowie Karten von den Gebieten, die beide Sender erreichen wollten. Der Sendebetrieb begann 1951, die Mitarbeitenden lebten in der neuen Münchner Siedlung Ludwigsfeld, die für Heimatlose aus dem Ausland errichtet wurde und in der sich osteuropäische Gemeinschaften herausbildeten.
1995 ist Radio Free Europe nach Prag umgezogen, sendet von dort aus immer noch über Sendemasten in München und Südwesteuropa.
Die Programme aus München wurden früher in einem großen Gebäudekomplex mit der Adresse Englischer Garten 1 gemacht, wo sich auch Radio Liberty nach Stationen auf dem Oberwiesenfeld (ehemaliges Flughafengebäude), dann im Arabellahaus ansiedelte. Per Mittelwelle wurde von Holzkirchen aus gesendet.
Viele Geschichten
Wenn man mit Hannah Maischein durch die Ausstellung streift, ist die Breite der Narrative beeindruckend, die sich für München und die Menschen bei RFE ergibt. Es hat noch eine zweite Mitarbeitergeneration bis zur Umsiedlung nach Prag ergeben. Die Ausstellung zeichnet deren Arbeit nach: als Monitoring Station für die Nachrichten aus dem Osten, für die Auswertung in München, die Kommentare, die in den kommunistischen Osten zurückgesendet wurden. Das geschah in der jeweiligen Landessprache, denn die Hörer*innen sollten den Eindruck haben, dass es sich dabei um Beiträge aus dem eigenen Land handelte und von Leuten, die mit den Zuständen in Rumänien oder Bulgarien vertraut waren.
RFE ist noch aktiv
Münchner Stadtkultur und Migrationsforschung gehen mit Medienkunde hier eine sehr interessante Verbindung ein. Und man erfährt auch, dass RFE heute noch sendet: in den Iran oder nach Afghanistan, auch in die russisch besetzten Gebiete der Ukraine offenbar. Für das deutsche Publikum war das Programm von RFE nicht gedacht, Deutschlands Jugend erreichte man sowieso viel mehr über die Musik des amerikanischen Soldatensenders AFN. (Uwe Mitsching)
Information: Bis 5. März. Münchner Stadtmuseum, Sankt-Jakobs-Platz 1, 80331 München. www.muenchner-stadtmuseum.de
Abbildung: Die Büroszene zeigt RFE-Mitarbeiter beim Sortieren von Hörerpost (1960). (Foto: Radio Free Europe/Radio Liberty)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!