Es kommt darauf an, wie man darauf schaut. Erinnerung hat immer eine Perspektive – das gilt auch für die Geschichtsschreibung. Während der nachmalige bairische Kurfürst Maximilian I. nach der Schlacht am Weißen Berg im Jahr 1620 zu den Gewinnern zählte, waren die böhmischen Stände die Verlierer des Kriegsgeschehens. Was folgte, war eine furchtbare Rache Kaiser Ferdinands II. am böhmischen Adel und Bürgertum, ein Dreißigjähriger Krieg – und danach ein riesiges Wiederaufbauprogramm in Bayern und Böhmen im Stil des Barock.
Von all dem erzählt die diesjährige Landesausstellung im Donausaal des Museums der Bayerischen Geschichte in Regensburg. Aber sie erzählt paritätisch von zwei Seiten. Konzipiert haben die Schau das Haus der Bayerischen Geschichte (HDBG) und das Prager Nationalmuseum gemeinsam. Es ist genau dieser Stereoblick, der sie so sehenswert macht.
Bayern wird kurwürdig
Anlass der Ausstellung ist das Jahr 1623, in dem besagter Max zur Belohnung für seine militärische Hilfe vom Kaiser die Kurwürde übertragen bekam. Aber das ist für die Ausstellungsmacher*innen kein Grund für eine applaudierende Exponateparty, sondern für einen kritischen Blick auf die Geschehnisse. Ein buntes und grusliges Bild zeigt etwa die verschiedenen Stationen des Aburteilens und Umbringens der Gegner. Präsentiert wird das fast filmische Todesszenario auf einer Art zusammengezimmertem Hinrichtungsgerüst: ein Beispiel dafür, wie in der Ausstellung, die danach in Prag gezeigt werden wird, mit Inszenierungen gespielt wird: weil das Thema Barock, in dem die Inszenierungslust ihre Hochkultur erlebte, das ja irgendwie vorgibt.
200 Objekte aus Bayern und Tschechien bekommt man zu sehen, und das in einzigartiger Dichte – üppig wie ein Deckenfresko. Es geht durch ein Jahrhundert mit Kriegen und Krisen, tödlichem Religionseifer und köstlichen Kirchenbauten, Repräsentationsgepränge und schließlich wieder Schlachtengetümmel. Kriegsherren wie Albrecht Wenzel Eusebius von Wallenstein spielen eine Rolle – er prangt da in Öl – und allerlei herrliche Allegorien aus der Wunderwelt der Propaganda, wie etwa die Darstellung eines siegreich davonsegelnden katholischen Schiffes, dem die im Wasser treibenden Reformatoren wie Jan Hus, Martin Luther und Johannes Calvin hilflos hinterherschimpfen und drohen.
Für die tschechische Geschichte spielen die Reformation und vor allem Hus eine viel betontere Rolle als in der bayerischen. Man pflegt in Prag Eishockeysiege zu Füßen seines Denkmals zu feiern. Auch der Stil des Barock wird in beiden Ländern anders gesehen, wie man an den Exponaten ablesen kann. In Bayern zählen vor allem Glorie und Grandezza. In Böhmen war der Barock dagegen eher Ausdrucksform der Unterjochung: Es war der neue Stil der Sieger. Für beide Seiten galt, dass das Geld für die Bauten irgendwoher kommen musste. HDBG-Chef Richard Loibl nennt die Maßnahmen nach dem Krieg gern den „Marshallplan des Barock“, finanziert unter anderem mit dem kurfürstlichen Weißbiermonopol: ein Prost auf Schloss Schleißheim!
Für beide Seiten galt, dass der Barock zwar einerseits etwas bunt plärrend Lebensbejahendes hat, zugleich aber auch dem Tod sehr nahe ist. Das hat die Erfahrung eines Krieges mitbedingt, der ganze Regionen völlig entvölkert hat und Dichtern wie Andreas Gryphius einen klaren Blick auf die „Eitelkeit auff Erden“ gab. Auf dem Gebiet der Kunst kann man in Regensburg das Gepränge sehen – sogar ein Deckenfresko ist in die Ausstellung eingezogen –, aber eben auch das Todesgedenken, etwa einen Salzburger Tumbadeckel in Form eines Skeletts (1624). So kommen Kriege und Krisen beim Menschen schlussendlich an – auch in Zeiten, als Bayerns Herrscher nach Höherem strebten. Von der dynastischen Politik ist ebenfalls die Rede.
Gockelhafter Auftritt
Die Religiosität, die in der Ausstellung thematisiert ist, führt bis ins Rokoko und zur Wieskirche. Vier Putti aus dem Kloster Aldersbach werden wie ein himmlisches Mobile postiert, zeitgenössische Bauten werden präsentiert, Bilder, die Geschichten erzählen, und allerlei Dinge des Alltags: Kleidung etwa, die nicht so ausschaut, als wäre sie besonders bequem. Die Zeit hatte etwas Gockelhaftes, zumindest für die oberen Zehntausend. Die Welt war für sie eine Bühne, für den Glanz des Hofes und die kriegerischen und diplomatischen Spielchen, mit denen sie die Bevölkerung immer wieder in Elend und Not trieben. (Christian Muggenthaler)
Information: Bis 3. Oktober. Haus der Bayerischen Geschichte – Museum, Donaumarkt 1, 93047 Regensburg.
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