Kultur

Brenda Rae begeistert als Semele mit witziger Koloratur-Hysterie, zeigt aber auch überzeugend den Kampf der Königstochter gegen gesellschaftliche Konventionen. (Foto: Monika Rittershaus)

21.07.2023

Psychotrip mit Breakdance

Glanzvoller Schlusspunkt der Münchner Opernfestspiele mit Händels „Semele“ in einer herausragenden Besetzung

Für gewöhnlich werden Premieren der Bayerischen Staatsoper im Prinzregentenheater nicht auch im Stammhaus gezeigt. Umso erfreulicher ist es zu hören, dass darüber nachgedacht wird, die Neuproduktion von Georg Friedrich Händels Semele auch für das Münchner Nationaltheater zu übernehmen. Diese Premiere avancierte nicht nur zum Höhepunkt der Münchner Opernfestspiele, sondern setzt einen glanzvollen Schlusspunkt unter die Staatsopernsaison.

Bei einer Übernahme dieser Neuinszenierung in den Reper-toirebetrieb der Staatsoper müsste sich Regisseur Claus Guth für Athamas freilich Alternativen einfallen lassen. Nicht jeder Countertenor kann jedenfalls breakdancen wie Jakub Józef Orli(´n)ski. Ob Extremsport, Influencer im Internet, Modemodel für Luxusmarken oder Breakdance und hoher Männergesang: Der 32-Jährige aus Polen kann scheinbar alles. Mit diesem Profil erreicht er weltweit eine riesige Fangemeinde, nicht zuletzt jüngeres Publikum.

In der neuen Semele-Inszenierung, einer Koproduktion der Staatsoper mit der New Yorker „Met“, glänzte Orli(´n)ski vor allem mit seinem halsbrecherischen Tanz. Als Prinz Athamas möchte er die Aufmerksamkeit von Semele ganz auf sich lenken, doch er hat einen mächtigen Konkurrenten: Jupiter persönlich. In Gestalt eines schwarz gefiederten Adlers ist er der Prinzessin von Theben erschienen. Dieser Jupiter von Michael Spyres kann zwar keinen Breakdance, dafür aber schwingt er das Cancan-Tanzbein. Das Publikum begeistert mehr der Breakdance: tosender Szenenapplaus für Orli(´n)ski, der sein Hausdebüt gab.

Dafür aber hatte Spyres in Gesang und Darstellung klar die Nase vorn. Im Vergleich zu anderen Countertenören wirkt die Stimme Orli(´n)skis etwas eintönig. Dagegen gelang Spyres auf der Premiere das kleine Wunder, seinen an sich recht voluminösen Tenor schlank und biegsam wirken zu lassen: passend zum Barockgesang.

Kurzweiliges Großereignis

Diese Premiere war generell glänzend besetzt. Das galt nicht nur für Brenda Rae, die die Titelpartie mit witziger Koloratur-Hysterie ausgestaltete, oder Nadezhda Karyazina als ihre schwesterliche Rivalin Ino. Auch die herrlich überspannte Götterbotin Iris von Jessica Niles, die eifersüchtige Jupiter-Gattin Juno von Emily D’Angelo und Philippe Sly als schlaftrunkener Somnus-Gott machten aus dieser Aufführung ein kurzweiliges Großereignis.

Mit seiner Lesart ist Guth ein großer Wurf gelungen. Auch in dieser Inszenierung arbeitet der Regiemeister, ein Absolvent der Theaterakademie in München, mit Tiefenpsychologie. Gleichzeitig entfacht er jedoch ein Feuerwerk an tempo- und geistreichem Witz. Diese Semele, eine bizarre Mischung aus Oper und Oratorium von 1743, würzt Guth mit einer kräftigen Brise Operette, aber ohne hohlen Klamauk. Dafür ist sein Konzept viel zu stringent: kongenial getragen von der Bühne von Michael Levine, der Ausstattung von Gesine Völlm und der Choreografie von Ramses Sigl.

Semele, König Cadmus’ Tochter, ist bei Guth emanzipiert, sie will dem Korsett der feinen Gesellschaft und deren Ritualen entfliehen. Die Zwangsheirat mit Athamas lässt sie mitten in der Zeremonie platzen. Schwarze Federn flattern vom Theaterhimmel herab – von Jupiter in Adlergestalt. Mit der Axt schlägt Semele ein großes Loch in die weiße Wand des übersanierten Altbausaals. Die Prinzessin bricht aus dieser Welt aus – die Schickimicki-Elite ist entsetzt.

Raffinierte Rache

Für Semele beginnt in der Lesart Guths ein gefährlicher Psychotrip, weil sie Jupiter so will, wie er ist: als Gott. Bei ihm endet Semele als Untote im weißen Saal, wo sich nun Athamas und ihre Schwester trauen lassen. In dieser Gesellschaft sind eben alle austauschbar. Dafür aber hält Semele in Guths Interpretation den von ihr geborenen Wein- und Rauschgott Dionysos im Arm, und der wirbelt bekanntlich manche wohlsituierte Gesellschaft durcheinander. Eine hübsche Rache hat sich da Guth für Semele ausgedacht.

Für dieses Narrativ hat Gianluca Capuano am Pult des Bayerischen Staatsorchesters den passenden Soundtrack. Die Zeiten sind vorbei, als Ivor Bolton an der Staatsoper ein Barockmonopol innehatte: gut so. Capuano bedient nicht das Klischee eines vibratolosen Originalklangs, überwältigt nicht mit grober Effekthascherei. Er dosiert sehr fein Vibrato, Affekte und Dynamik: einfach spannend. (Marco Frei)

Abbildung:
Der Countertenor Jakub Józef Orlinski glänzt als Athamas mit einem Breakdance.    (Foto: Monika Rittershaus)

 

 

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