Kultur

Nahsicht und Ausschnitt fokussieren den Zauber von Pflanzenstrukturen und halten Momente vom Werden und Vergehen fest. Ausschnitt aus einem der Fotos von Herlinde Koelbls Projekt "Metamorphosen", die Gesamtansicht finden Sie im Beitrag. (Foto: Herlinde Koelbl)

26.01.2023

Rätselhafte Verlockung

In Augsburg zeigt die bekannte Porträtfotografin Herlinde Koelbl ihr jüngstes Projekt „Metamorphosen“

Sieben Jahre lang hat sich Herlinde Koelbl ihrem aktuellen Kunstprojekt gewidmet, das in Form von 120 betörenden Farbfotografien – bewusst alle ohne Titel – in der lichten Halle des H2 – Zentrum für Gegenwartskunst im Augsburger Glaspalast gezeigt wird. Oder sollte man besser sagen: Das es gilt aufmerksam zu entdecken, lustvoll zu entschlüsseln, voller Staunen zu enträtseln? Ähnlich wie bei ihren fesselnden Menschen-Bildserien (unter anderem Feine Leute, Kleider machen Leute, Angela Merkel. Portraits 1991–2021), die Herlinde Koelbl in aller Welt bekannt machten, bergen auch ihre Naturfotografien ein Geheimnis. Sie wollen nie pures Abbild sein, lassen durch das Zoomen, durch das Hervorheben von Details und die Wahl der Perspektive abstrakte Kunstwerke mit faszinierenden Strukturen und Texturen entstehen. Sie regen die Phantasie an und lassen bewusst Interpretationsräume – ähnlich wie wir es aus Wolkenformationen kennen.

Die Fotografien regen an, Feinstoffliches und immer den virtuosen fotografischen Blick für das Einmalige, für die im Offensichtlichen verborgene Schönheit zu entdecken. Gerade in den überwältigenden, satte Farben atmenden Großformaten kommt die Sinnlichkeit pulsierend und leuchtend zum Vorschein; auch erotische Assoziationen sind nicht ausgeschlossen. Kein Wunder, dass Herlinde Koelbl fast schelmisch darauf beharrt, dass sie das Rätsel ihrer Werke ganz sicher nicht auflösen wird.

Noch während man also glaubt, nur ein saftig-grünes Blatt anzusehen, modellieren sich bald die Gesichtszüge eines Mannes heraus, könnten die Blüten einer Orchidee auch muntere Aquarienfische sein, wird ein im Schnee liegender, verrunzelter Apfel zum verführerischen Lockstoff. Die Exponate wirken wie ein Vexierspiel. Je welker, je näher am ganz natürlichen Verfall die Objekte im Moment des Einfangens mit der Kamera waren, umso spannender wirkt das Motiv.

Koelbls künstlerischer Ansporn lag schon immer in der Frage, worin das Wesentliche des Daseins, des Ich-Seins liegt. Mit ihrem Metamorphosen-Projekt lenkt sie nun den Blick auf den lebendigen Zyklus der Natur. Das Entstehen, Aufblühen, das Werden und insbesondere die Ästhetik, die im Vergehen der Subjekte/Objekte liegt, werden dabei filterlos und direkt, niemals inszeniert und immer kontrastreich und präzise beleuchtet.

Und so, wie die vitale, charismatische Künstlerin in ihren Porträts die Diskrepanz zwischen Sein und Schein aufspürt, lenkt sie nun Augen und Bewusstsein des Publikums auf das unangenehme Thema der Vergänglichkeit als unausweichlicher Prozess und von der Natur vorgegebener Kreislauf. „In den Metamorphosen sind alle Lebensthemen enthalten“, so Koelbl.

Neue Schönheit

Wer die Vernissage im H2 miterlebte, hörte von der agilen Künstlerin mit den kupferroten Locken, die heuer 84 Jahre alt wird, dass man nur ja nicht denken solle, sie sei der Menschen müde geworden. Vielmehr gehe es bei ihrem jüngsten Projekt um eine Erweiterung. „Im Vergehen lässt die Natur eine neue Schönheit und eine veränderte Wahrnehmung entstehen. Alles wandelt sich, wird spröde, erschlafft oder erstarrt, wechselt den Aggregatzustand.“

Nicht nur die neue Motivserie innerhalb von Koelbls Werk fällt aus dem Rahmen, auch die Hängung der durchaus unterschiedlich großen Formate im H2 tut es. Sie meidet die geraden Linien, um so die in den Fotografien integrierte Idee von Fülle, von Variantenreichtum und Organischem, von Vielfalt, Bewegung und Prozess zu spiegeln und die Lust am Assoziativen zu entzünden.

Die Motive sammelte und fand die Künstlerin in aller Welt, auf ihren Reisen, wie im vergangenen November auch in Japan. In den drei Kabinetten wird die Schau mit Videoloops, die Koelbls Herangehen transparent machen, einer Diaserie zum Thema Vergänglichkeit und einem Hörraum, der das Erinnern an das Unausweichliche schärft, bereichert.
Mit dieser erstmals in Augsburg präsentierten Ausstellung ist zweifelsfrei ein großer Coup gelungen, auf den Thomas Elsen als Leiter des H2 – Zentrum für Gegenwartskunst zu Recht stolz sein kann. (Renate Baumiller-Guggenberger)

Information: Bis 23. April. H2 – Zentrum für Gegenwartskunst, Beim Glaspalast 1, 86153 Augsburg. kunstsammlungen-museen.augsburg.de/metamorphosen

 

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