Kultur

Hartmut Thurner und Charis Hagera als Thannreuther und Frau Venus.

06.08.2010

Raus aus der Lustfalle

Uwe Hoppe bringt in seiner Bayreuther Studiobühne den „gantzen Sängerkriech“

Wenn Lohengrin in Bayreuth als Laborant bei der Rattenjagd auftritt oder in München als Wüstenrots liebster Häuslebauer, dann wird Uwe Hoppe bald arbeitslos. 2012 wird seine Studiobühne in Bayreuth 30 Jahre alt, er selbst ist 56 und sitzt noch persönlich an der Abendkasse des „Hoftheaters“, das seine Zelte jedes Jahr im Hof von Steingraebers Klaviermanufaktur aufschlägt. Seine Vorstellungen während der ganzen Festspielzeit sind ähnlich ausverkauft wie die am Grünen Hügel. Aber jetzt fragt er sich, wie er mit dieser Niagarafall artigen Überschwemmung von Festspiel-Regieideen noch mithalten kann. Früher waren seine Übersetzungen der Wagner-Originale ins aktuell Kabarettistische noch ein echter Gegenpol zur Hohen Kunst im Wagner-Tempel, heute ist ihm nur die Freiheit geblieben, die romantischen Opernstoffe in zeitgenössische Sprache zu übersetzen: dass ein Hans Sachs seine Gedichte auf dem Laptop schreibt, das gibt es in jedem Stadttheater. Jetzt läuft mit aktuellen Anreicherungen Hoppes Thannreuther, Meistersinger-Abend, im Untertitel „Der gantze Sängerkriech am einen Abendt“ – sehr frei nach Richard Wagner. Das Komma signalisiert: Herr Heinrich Thannreuther, Beruf: Meistersinger. In den zweieinhalb Stunden Spieldauer werden die beiden Opern miteinander verknüpft; Wagner selbst hielt nach der Tragik seines Tannhäuser die Meistersinger von Nürnberg als Satyrspiel für möglich (1851). In einem stummen Vorspiel reagiert die bürgerliche Spießergesellschaft ihre brünftigen Gefühle an Werwölfen und korsagengestützten Oberweiten ab – kein Wunder, dass Herr Thannreuther „nur noch Unterleib“ fühlt. Da kleistert keine schwärmerische Arienkunst die wahren Gefühle zu: Hartmut Thurner, der ein bisschen aussieht wie Bariton Bryan Terfel und den Revoluzzer in Lederklamotten mimt, sagt wie’s ist: am liebsten ganz raus aus der „Lustfalle“. Da hilft es nichts, wenn Frau Venus ihrem „Heinerle“ Liebesdienste in allen Stellungen anbietet – Charis Hager hat in unterschiedlicher Schwesterntracht kurz danach auch die Elisabeth zu spielen. Genauso wie das übrige Dutzend Schauspieler in Hoppes Regie Landgraf und Kother, Pogner und „Bitterrolf“ zugleich ist: beziehungsreiche Doppelbesetzungen. Wenn der Tannhäuser-Hirtenknabe plötzlich zum Meistersinger-Stolzing wird, beginnt das Wechselspiel aus beiden Stücken: Die Nürnberger Spießergesellschaft ist auch landgräflicher Klüngel, die originellen Oberfranken-Typen erinnern an Wieland Wagners Rüpel-Meistersinger von ehedem.

Blanker Hintern

Die mussten noch notengenau singen, bei Hoppe wird auf gut fränkisch komplizierte Psychologie auf den simplen Punkt gebracht, Stolzing zeigt der Noris-Hautevolée den blanken Hintern, der Sängerkrieg auf Wartburg wird zur Casting-Show in Bayreuths Oberfrankenhalle, die Festwiese zur Faschings-Prunksitzung. Statt romantische Reime gibt es ortsübliche Wortspiele: „Sixt’s Sixtus“, und der „Wahn“ wird zur „Mackn“. Im „Liebe, Triebe, Hiebe“-Spiel beider Opern ist Georg Mädl ein bühnenreifer Beckmesser, Martin Betz macht aus dem Wolfram einen Laschi im blassblauen Oberhemd: kein Wunder, dass am Ende alle Frauen nach Thannreuther grapschen und die anderen Männer ihn eifersüchtig niederkloppen. Da ziehen die Damen dann mit Venus in den „Sophienberg“ ein, Thannreuther wartet, bis er allein ist und schnappt sich das Baby, das irgendwie auch noch ins Spiel gekommen ist: „Komm mein Kleiner, weitersuchen!“, und nimmt Elternzeit. Zur Festspielzeit in Bayreuth gibt es noch mehr Wagner-Capricci: die Kammeroper Leipzig mit See you in Walhall, Auf in den Ring mit der Hamburger Kabarettistin Marlene Jaschke, den Thannreuther noch bis zum 21. August beinahe täglich. Und Uwe Hoppe freut sich schon auf den Lohengrin 2011 – seine Antwort auf Neuenfels. (Uwe Mitsching)

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