Kultur

Alter Einlass mit Blick auf die Kirche Hl. Kreuz, gezeichnet von Franz Gallus Weber im Jahr 1858. (Foto: Kunstsammlungen Stadt Augsburg)

18.08.2023

Romantisierender Blick

Präzise Zeichenkunst trifft auf überraschenden Perspektivvergleich: Werke von Franz Gallus Weber im Grafischen Kabinett Augsburg

Woher nur rührte die romantische Ader, die den Ingenieur Franz Gallus Weber (1794 bis 1876) ganz offensichtlich durchströmte und ihn als „Sonntagsmaler“ zu rund 250 kleinformatigen und wirklichkeitsgetreuen Zeichnungen sowie Aquarellen inspirierte? Vergeblich sucht man in Künstlerlexica den Namen dieses Mannes, dessen Werk mit präzisem Strich, gutem Gespür für Proportion, Perspektive und Bildaufbau und damit feinem zeichnerischem Handwerk zu charakterisieren ist. Wie schön, dass man eine Auswahl dieses Bilderschatzes, den die Grafische Sammlung Augsbugs verwahrt, öffentlich zugänglich gemacht hat und damit den Blick zurück auf ein bezauberndes und – wie der Ausstellungstitel lautet – Romantisches Schwaben ermöglicht.

Militärische Laufbahn

Was weiß man über Weber? Als Sohn des Bildhauers Johann Gallus Weber bekam er wohl das künstlerische Talent mit. Geboren 1794 in Altenberg bei Nürnberg, begann Weber zunächst eine Ausbildung zum Graveur, die er aber vorzeitig abbrach. Als Artillerie-Oberleutnant wurde er mit 36 Jahren nach Augsburg versetzt – zu einer Zeit also, in der Säkularisation, Mediatisierung und bayerische Reformen sich tief in die politische Geschichte der Stadt eingeschnitten hatten und sich in Augsburg grundlegende Veränderungen der Bevölkerungs-, Sozial- und Wirtschaftsstruktur vollzogen. Begünstigt durch die Wasserkraft von Lech und Wertach sowie durch das zur Anlage drängende Investitionskapital seiner Bankhäuser, durch die Linienführung des Eisenbahnbaus, die Gründung von mechanischen Baumwollspinnereien und Webereien sowie die Errichtung von Maschinenfabriken brach Augsburg mit voller Kraft auf ins Industriezeitalter.

Der Offizier Franz Gallus Weber war Ingenieur und trat seinen Dienst nicht in einer Kaserne, sondern als technischer Inspektor im Königlich-Bayerischen Gieß- und Bohrhaus am Katzenstadel an. Sein Auftrag: die Modernisierung des staatlichen Rüstungsbetriebs. Nach erfolgreicher Tätigkeit als technischer Inspektor wurde er 1848 zum Major befördert. Wahrscheinlich leitete er zu diesem Zeitpunkt schon die Gießstätte. Ebenso bekannt ist, dass er als Fachmann für Geschützguss bereits 1840 auf Bitten des Zaren 44 kolorierte Zeichnungen der Gieß- und Bohrstätte nach Moskau übermittelt hatte. Allein zwischen 1830 und 1850 verließen 1300 Geschützrohre den Augsburger Rüstungsbetrieb.

In seiner privaten Lebensgestaltung hatte Gallus Weber wenig Glück. Seine vier Ehefrauen verstarben meist innerhalb kurzer Zeiten und oft im Kindbett. Vielleicht sei damit zu erklären, so mutmaßt der Ausstellungskurator Christoph Nicht im Katalog, „dass er im fortgeschrittenen Alter seiner künstlerischen Begabung nachging“.

Zeit für Details

Durchaus möglich, dass Weber sich mit den Wanderungen in die nähere Umgebung der Stadt tröstete und so auf gesunde Art und Weise seine Freizeit gestaltete. Anders als der berühmte, zeitgleich wirkende William Turner, der seine Reisehefte weitaus rascher und skizzenhafter mit Zeichnungen und Aquarellen füllte, schien sich Weber auf seinen Spaziergängen gründlich Zeit genommen zu haben, um die Details zu memorieren. Er machte vielfach Vorzeichnungen mit Bleistift, die er später auskolorierte. Oft stehen etwa mit St. Bartholomäus in Diedorf, der Haunstetter „Dorf“-Kirche, der barocken Gögginger Pfarrkirche am Klausenberg oder der in Westheim (Kobelkirche) gelegenen Wallfahrtskapelle, die 1602 in der Form des „Heiligen Hauses“ von Loreto erbaut wurde, Kirchen und Kirchtürme im Fokus.

Lohnend und aufschlussreich ist der unmittelbare Blickabgleich zwischen gestern und heute: Weber war am 19. Juni 1853 etwa auch auf die Alpe Leitershofen gestiegen, wo sich in der Ferne die Silhouette Augsburgs Augsburg abzeichnete; ebendort, wo seit vielen Jahrzehnten der „Nervenheil“ genannte Berg zum Rodeln genutzt wird und natürlich längst zahlreiche Wohnhäuser die Freiflächen eingenommen haben. Ebenso überraschend ist der damals noch komplett freie Blick auf das bekannte Fugger-Schloss in Wellenburg, das heute von dichtem Baumbestand abgeschirmt ist. Kaum zu glauben auch, wie herrlich frei und parkähnlich der Augsburger Bahnhofsvorplatz 1868 anmutete. Wo seit Jahren eine Riesenbaustelle das Reisen aus und in die Großstadt Augsburg beschwerlich macht, war vor 150 Jahren gar der Blick auf Elias Holls Rathaus möglich.

Mitgewirkt am Entfestigen

In seiner Position als Artillerieoffizier beteiligte Weber sich auch am Projekt der Stadtentfestigung. In einigen seiner Werke – beispielsweise beim hochmittelalterlichen Fünfgratturm unweit der heutigen Kahnfahrt-Bastion im Nordosten der Jakobervorstadt – sieht man die damals noch bestehende Stadtmauer mit dem breiten Graben davor. Eine nach vielen Diskussionen gebaute Metalltreppe macht das Besteigen des Turms heute wieder sicher.

Wo sich die blühende Natur Raum zurückeroberte, schien die Verteidigungsfähigkeit Augsburgs keinen hohen Stellenwert mehr zu besitzen, sich aber umso besser als romantisches Zeichenmotiv anzubieten. Dass einige Einlasstore eher in einem maroden Zustand waren, veranlasste König Max II. dazu, im März 1860 zu beiden Seiten des Gögginger Tores eine Bresche durch die Stadtmauer schlagen zu lassen – was als Beginn der Entfestigung galt. Im Juni 1862 fiel das Gögginger Tor, das Gallus Weber vier Jahre zuvor auf einem seiner Aquarelle festgehalten hatte. Am 12. Januar 1866 unterzeichnete Ludwig II. das Dekret zur endgültigen Aufhebung der „Festung Augsburg“, woraufhin Mauern und Tore abgebrochen werden konnten. Doch Reste der Augsburger Stadtmauer bestehen bis heute und ziehen Gäste in ihren Bann.

Von Nordosten schaute Weber im Jahr 1857 auf die mit Buschwerk bewachsene „Lug ins Land“-Bastionsschanze, wo heute ein Biergarten zum Verweilen einlädt. Nur selten bindet Weber Menschen in seine Werke ein. Sie erscheinen, wie etwa in der Partie vom Rosenauberg nur schemenhaft und spielen ganz im Sinne der Romantik eine untergeordnete Rolle in der großen, noch unbesiedelten und unberührten Natur, die definitiv im Vordergrund steht.

Somit gestatten die nahezu fotografisch exakten Ansichten die Neu- und Wiederentdeckung bekannter Orte in Augsburg und in Schwaben in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie erzeugen beim Betrachten nicht selten ein wenig Wehmut ob des Verlusts verloren gegangener Romantik. (Renate Baumiller-Guggenberger)

Information: Bis 26. November. Grafisches Kabinett im Höhmannhaus, Maximilianstraße 48, 86150 Augsburg. www.kunstsammlungen-museen.augsburg.de

 

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll man die AfD verbieten?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.