Kultur

Raumgreifend schlängelt sich Nicholas Hlobos Installationsgebilde „Tyaphaka“ (2012) durch einen Ausstellungssaal. Im Hintergrund Benedikt Hipps „Neonatal Refractions“ (2017/2018). (Foto: Maximilian Geuter)

27.04.2018

Saftig und unheimlich

„Blind Faith“ im Münchner Haus der Kunst entführt ins befremdlich fremde Innere unserer Körper

Man glaubt ja gar nicht, wo überall sich in unserer säkularen Gesellschaft der Glaube verbirgt. Die Rede ist nicht von irgendwelchem Esoterik-Schmäh, den jeder sofort als Glaubens-Surrogat identifizieren kann. Nein, es geht um jenen inbrünstigen Glauben, der so stark ist, dass seine Anhänger ihn gar nicht als solchen wahrnehmen. Beispiele hierfür wären die Mülltrennung, das Leistungsprinzip oder die vegane Ernährung. Speziell Anhänger der letzteren seien eindringlich gewarnt vor der neuen Ausstellung im Münchner Haus der Kunst.
In dieser herrlich barocken Schau geht es nämlich im Wortsinne fleischlich zu, und ihr Titel ist insofern natürlich reiner Etikettenschwindel: Blind Faith heißt diese sensationell gute Präsentation, was übersetzt so viel wie „blinder Glaube“ oder „blindes Vertrauen“ bedeutet.

Leiblichkeit an sich

Aber von wegen! Wer’s glaubt, wird selig, kann man nur sagen, denn um den Glauben geht es in dieser Schau gerade nicht. Eigentlich müsste die wohltuend sinnliche Ausstellung „Körperwelten“ heißen. Denn das verbindende Thema der meisten Exponate ist tatsächlich der (meist menschliche) Körper oder sogar die Leiblichkeit schlechthin – in ihrer ganzen Ambivalenz von saftiger Vitalität einerseits und andererseits der Unheimlichkeit, die sich leicht einstellt beim Blick ins befremdlich fremde Innere unseres Körpers.
Gleich im großen Mittelsaal der Schau schlängelt sich Nicholas Hlobos (geboren 1975) monströses schwarzes Darmgebilde auf dem Boden, das auch ein raupenartiges Untier sein könnte. An vergrößerte, ineinandergesteckte Schweinsöhrchen erinnern wiederum die fleischrosafarbenen Keramikobjekte von Teresa Solar Abboud (geboren 1985), die auf seltsam ungelenke, verkrampfte Weise zwischen Metallgestänge eingeklemmt sind. Natürlich wecken sie auch sofort die Assoziation menschlicher Hohlorgane, Gefäße und Innereien. Man denkt an die Speiseröhre, den Darm, die Vagina, zumal die Wände rings um diese Installation mit Andrea Éva Györis (Jahrgang 1985) kritzelig-infantilen Nackedeizeichnungen von Bäh- und Pfuiszenen tapeziert sind.
Eher der Körperoberfläche wendet sich hingegen Benedikt Hipp zu. Der 1977 geborene Münchner malt emailleglatte Lackbilder, in denen sich aber isolierte Flächen pastos aufgetragener Ölfarbe finden: Inseln lebendiger, fast erschreckend organischer Ausdruckshaftigkeit im Meer unverbindlicher Sterilität.

Abgründige Komik

Ganz prall, drall und rosig gibt sich dann wieder die Installation von Jon Rafman (Jahrgang 1981), die durch ihre verstörend abgründige Komik fasziniert: In einem dunklen Raum stehen Kinosessel herum, die von fleischig-schaumigen Furunkeln überwuchert scheinen, was seltsam erotisch und gruselig zugleich anmutet. Auch der Cinemascope-Film, den man von diesen Fleischfauteuils aus betrachten kann, spielt in einer Art schleimigen Gekröse- und Körperlandschaft.
Ob man die sehen will, ist Geschmacksache, ganz sicher aber möchte man künftig genau solche Ausstellungen sehen, im Haus der Kunst und anderswo. Vielleicht erfüllt sich diese Hoffnung, wenn wir nur fest dran glauben. (Alexander Altmann) Information: Bis 19. August. Haus der Kunst, Prinzregentenstraße 1, 80538 München. Mo. bis So. 10-20 Uhr, Do. 10-22 Uhr. www.hausderkunst.de

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