Eine Meinung wird nicht überzeugender, wenn sie allseits gebetsmühlenartig wiederholt wird. Über den diesjährigen Opernsommer der Salzburger Festspiele war vielfach zu lesen, dass vor allem die Nebenschauplätze einen Besuch gelohnt hätten. Die großen Neuproduktionen kamen insgesamt nicht so gut weg, obwohl sie gemeinsam eine stringente, hochaktuelle Erzählung bildeten. Es ging da um den Menschen zwischen Machtmissbrauch und Krieg.
Als Auftakt debütierte Regisseur Dmitri Tcherniakov mit seiner Sicht auf Giulio Cesare in Egitto von Georg Friedrich Händel: nicht nur bei den Festspielen, sondern generell im Barock-Opernfach.
Sirenengeheul und Bombeneinschläge
Die Inszenierung des gebürtigen Moskauers wurde besonders kontrovers diskutiert, weil sie den Dreiakter von 1724 in einem Bunker spielen lässt. Hier tummeln sich die Personen, kämpfen um ihr physisch-mentales Überleben. Der Bunker könnte auch in der Ukraine oder im Gazastreifen stehen.
Man mag darüber streiten, ob die Einspielungen von Sirenengeheul und Bombeneinschlägen etwas überzeichnet war, aber: Dieses Kriegsszenario passte gut zum Stoff. Immerhin geht es um tödliche Konflikte zwischen Caesar, Pompeius und Tolomeo – um Rom und Ägypten. In den Kostümen von Elena Zaytseva glich die Pompeo-Witwe Cornelia von Lucile Richardot einer vornehmen Römerin. Ihr Sohn Sesto des Countertenors Federico Fiorio kam als verwöhnter, pseudo-cooler Upper-Class-Freak im Rave-Look daher. Die Kleopatra von Olga Kulchynska war ein schrilles Girlie, und wie ein schräger Grusel-Clown wirkte der Countertenor Yuriy Mynenko als Bösewicht Tolomeo. Als Titelheld präsentierte sich Countertenor Christophe Dumaux staatsmännisch.
In diese Bunkerwelt brach schließlich der Wahnsinn von Traumatisierten herein, von Siegesjubel-Taumel keine Spur. Zuvor musste Sesto zusehen, wie seine Mutter von Tolomeo misshandelt und fast vergewaltigt wird. Kleopatra drohte ein ähnliches Schicksal. Die Leiche von Pompeo war allgegenwärtig. Das alles wirkte psychologisch überaus echt, konzis die Personenführung, durchwegs überragend die darstellerischen und gesanglichen Leistungen. Mit Emmanuelle Haïm und ihrem Le Concert d’Astrée wurde dem Ensemble musikalisch der perfekte Boden bereitet.
Ganz anders die Schiller-Oper Maria Stuarda von Gaetano Donizetti: Für seine Neuinszenierung setzte Ulrich Rasche einmal mehr auf Drehscheiben.
Reinste Deko-Regie ohne Deutung
Das erinnerte an Christof Loys Inszenierung dieses Zweiakters am Theater an der Wien 2018. Zwar generierte die Salzburger Inszenierung eindrückliche Bilder, etwa wenn sich die auf zwei getrennten Drehscheiben stehenden Kate Lindsey als Elisabetta und Lisette Oropesa als tragische Titelheldin für einen Augenblick annäherten. Sonst aber überwog reinste Deko-Regie ohne Deutung. Dass Sara Schwartz die beiden Frauen in Schwarz (Elisabetta) und Weiss (Stuarda) kleidete, wirkte dramaturgisch abgegriffen. Die karge Reduktion auf der Bühne sollte ein psychologisches Kammerspiel heraufbeschwören, verlor sich aber im großen Festspielhaus.
Dennoch gelangen den vier Hauptsolisten, neben Lindsey und Oropesa zudem Bekhzod Davronov als heller Leicester sowie Aleksei Kulagin als verdüsterter Talbot, große Momente. Mit echtem Belcanto hatte das jedoch nur in Teilen etwas gemein. So gestaltete Oropesa die Titelpartie fast schon im Stil einer Maria-Callas-Tragödin. Im Orchestergraben übersteuerten die Wiener Philharmoniker mit Antonello Manacorda bisweilen die Dynamik.
Der eigentliche Clou war die Integration der Tschechow-Oper Tri Sestri von Peter Eötvös von 1996/97 in das große Narrativ von Macht und Krieg. Die Inszenierung von Evgeny Titov zeigte eine Welt nach dem Bunker-Händel und dem Donizetti-Machttreiben. Die von Rufus Didwiszus war eine dystopische Trümmerlandschaft, auf der einzelne Brände von Soldaten gelöscht wurden. In den Trümmern ihrer Existenz träumen sich die drei Countertenor-Schwestern Irina (Dennis Orellana), Mascha (Cameron Shahbazi) und Olga (Aryeh Nussbaum Cohen) ihr Leben schön. Sie werden dabei von ihrer Schwägerin Natascha (Kangmin Justin Kim) buchstäblich terrorisiert. Auch ihr Bruder Andrej (Jacques Imbrailo) will nur weg von dieser Furie.
Absolut hörens- und sehenswert
Sie alle warten auf das große Glück. Es ist ein Warten auf Godot. Schlicht stupend das zwischen Graben und Bühnen-Off aufgeteilte Klangforum Wien: Unter Maxime Pascal und Alphonse Cemin gelang eine dynamisch geradezu mustergültige Abstimmung. Diese Neuproduktion war absolut hörens- und sehenswert. Der Salzburger Opernsommer war weitaus stärker als sein Ruf. (Marco Frei)
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