Kultur

Szene aus "Das Erbe". (Foto: Armin Smailovic)

28.06.2017

Saukomisch und gruselig zugleich

„Das Erbe“ an den Münchner Kammerspielen

Die Wesen vom andern Stern haben Geschmack: Bücher und Bilder bedecken die Wände ihres Raumschiffs. Und der Ausblick von der Kommandobrücke ist sowieso phantastisch: Erst sieht man die Erde entschwinden, dann sind da nur noch die unendlichen Weiten des Alls mit Myriaden von Sternen. Die UFO-Besatzung allerdings besteht nicht aus grünen, sondern aus rosa Männchen. Oder eher Weibchen? Genau kann man’s nicht sagen. In der Kammer 2 der Münchner Kammerspiele beamen Olga Bach (Text), Florian Seufert (Video) und der gefeierte Nachwuchsregisseur des Jahres 2016, Ersan Mondtag, das Publikum jetzt also in eine Sciencefiction-Groteske. Saukomisch, abgründig-albern und gruselig zugleich kommt ihre Performance-Installation Das Erbe – Eine Assoziation zum NSU daher, wobei für das Horror-Element die Schauspielerin Tina Keserovic sorgt: Nackt, mit umgeschnalltem Schwangerschaftsbauch, stellt sie offenbar den Menschen dar, den sich die Aliens auf der Erde geschnappt haben. Nach Frisur, Brille und Physiognomie ähnelt sie der Angeklagten Zschäpe im NSU-Prozess, und Keserovic macht aus dieser Figur einen beängstigenden Wechselbalg. Sie ist Kobold, Affe und monströses, geistig zurückgebliebenes Kind in einem. Verglichen mit dieser Kreatur wirken die Außerirdischen, in denen wir uns quasi selbst erkennen, geradezu sympathisch. Ihr hochpräzises, absurdes Androiden-Ballett hat fast etwas drolliges. Im Chor sagen sie historische Jahreszahlen auf, nennen sie Daten zu alten Gemälden („Tempera auf Lindenholz“), trällern sie fröhliche Melodien – aber auch Mahlers Kindertotenlieder. Dann wieder deklamiert diese kosmische Erbengemeinschaft Verse aus antiken Dramen, spielt eine Szene aus Kafkas Schloss nach, rezitiert Werbesprüche aus den 1950ern sowie Aussagen eines Ministers vor dem NSU-Untersuchungsausschuss – lauter Erbstücke sozusagen. Dieses Collageverfahren erinnert natürlich an Jelinek-Texte wie Wolken. Heim. Aber auch wenn das Erbe-Projekt nicht deren gedankliche Schärfe erreicht, fasziniert es als genreübergreifendes Gesamtkunstwerk mit irritierend schönen Schockbildern. Wobei gerade die Uneindeutigkeit des Assoziativen unserer erschrockenen Verblüffung über das NSU-Geschehen mehr entspricht, als jede belehrende Botschaft. Und am Ende wird es nochmal grell und wild. Da taucht das Alptraumschiff in ein Schwarzes Loch ein, die Aliens stehen plötzlich nackt im blauen Licht, das ihre Gesichter wie Totenköpfe aussehen lässt. Fluoreszierendes Blut läuft über ihre Körper, mit verzerrten Stimmen intonieren sie den Jingle der Mini-Playback-Show, ein lautes Dröhnen erfüllt den Raum, und das Zschäpe-Monster gebiert unter dämonischem Grunzen ein blutrotes Hirn. (Alexander Altmann)

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