Auch Thomas Bernhards Opus Magnum kommt nicht ohne Jean Paul aus: „Nun, was hast du wirklich in der Bibliothek gemacht? hatte meine Mutter gesagt, worauf ich geantwortet hatte: ich habe im Siebenkäs gelesen. Auf diese meine Beteuerung war sie aufgesprungen und hatte mich geohrfeigt und mich ins Bett geschickt. Die eigentliche Bestrafung hatte darin bestanden, daß ich drei Tage nicht mehr aus meinem Zimmer herausgehen durfte, meine Mutter hatte es abgesperrt und mich die ganzen drei Tage lang ohne jegliche Nahrung gelassen ... Vor der Tür draußen liefen die ganze Zeit meine beiden Schwestern hin und her und schrien ununterbrochen in höchster Schadenfreude Siebenkäs, Siebenkäs, Siebenkäs.“
Ganz neu präsentierter Briefwechsel
Die ignorante Familie des Erzählers im Roman Auslöschung von Bernhard aus dem Jahr 1986 wusste offensichtlich nicht, dass es sich bei dem genannten Romantitel um ein Stück Weltliteratur aus der Feder Jean Pauls handelt.
Damit heutzutage nicht wieder lesehungrige Jugendliche geohrfeigt werden, wenn sie angeben, sie hätten etwa die Flegeljahre oder das Schulmeisterlein Wutz von Jean Paul gelesen, hat die Staatsbibliothek Bamberg – in Zusammenarbeit mit der Landesbibliothek Coburg und der Arbeitsstelle Jean-Paul-Edition an der Universität Würzburg – eine sehr informative und inspirierende Ausstellung zum 200. Todestag des großen Klassikers eröffnet.
Sie ist an Bedeutung für die intellektuelle Auseinandersetzung der Gegenwart, die sich bisweilen in ignorante Diskussionen im Stil der Auslöschung verrennt, kaum zu überschätzen.
Man denke nur an das Thema Judentum. Dazu ist Jean Pauls in Bamberg ganz neu präsentierter Briefwechsel mit seinem jüdischen Freund, dem Bayreuther Handelsherrn, Bankier und Literaturliebhaber Emanuel Osmund (1766 bis 1842), eine schier unglaubliche Quelle nicht nur für die wissenschaftliche Forschung. Schon Schülerinnen und Schüler können hier etwas über gegenseitige Hilfestellung, Toleranz, Respekt und Einfühlungsvermögen lernen. Und all das durch den Genuss, den originale Handschriften und Bilder jedem Menschen bereiten müssen, dessen Aufnahmefähigkeit nicht zu sehr durch den Gebrauch digitaler Medien eingeschränkt ist.
Dabei ist es andererseits dem Einsatz der Digitaltechnik zu verdanken, dass Gerald Raab, der verdienstvolle Fotograf der Staatsbibliothek Bamberg, diese erstaunlich genauen und geradezu plastisch erscheinenden Repros für den Ausstellungskatalog herstellen und auf manchen Seiten in künstlerischer Form anordnen konnte. Viele Dokumente sind zusätzlich im Internet abrufbar.
Doch zurück zum Thema Judentum. Mehr als 1000 längere Briefe und Kurznachrichten, Billets genannt, haben sich Osmund und Jean Paul zugeschickt. „Osmund vermittelte Jean Paul Kenntnisse über das Judentum und unterstützte den Dichter im Alltag, auch durch die Lieferung von Schreibfedern und von Bier, das Jean Paul zur Anregung des Gedankenflusses brauchte“, wie es ein Faltblatt der Staatsbibliothek zusammenfasst. „Jean Paul nennt für diese sogenannte Haskala, für die religiöse jüdische Bildung durch Verstand, Moses Mendelssohn als ein Beispiel und rechnet diesen zu den Vorbildern auch für seinen Freund Emanuel“, schreibt Helmut Pfotenhauer in seinem Beitrag für den Katalog.
Sehr versöhnlich wird Jean Paul in einem Brief an Emanuel: „O jedes Zeichen der Andacht ist ehrwürdig, unter jedem Volk – wir haben alle dasselbe Herz und denselben Gott, und unsere kleinen Verschiedenheiten sind gewislich diesem ewigen Geiste nur – Aehnlichkeiten.“ (Zitiert nach dem Katalogbeitrag von Gunnar Och). Ein Erweis für eine durchaus vorbildliche, friedensstiftende Haltung.
Ein weiterer Geburtstag steht bald an
Durch den erwähnten jüdischen Aufklärer Moses Mendelssohn ergeben sich weitere aufschlussreiche Anknüpfungspunkte nach Bamberg. Mit einem Vertreter der Aufklärung aus der Schule Mendelssohns, mit dem in Bamberg und Fürth lebenden Aaron Halle-Wolfssohn, stand Emanuel Osmund ebenfalls in direktem Briefkontakt.
Zwei Jahre nach Jean Pauls Tod kam Felix Mendelssohn Bartholdy, ein Enkel Moses Mendelssohns, 1827 nach Bamberg, der zwar evangelisch getauft worden war, aber zeitlebens die große jüdische Tradition seiner Familie nicht vergessen wollte. Und auch er hatte, wie Jean Paul, zahlreiche Verbindungen zu einem anderen großen Vertreter der Weltliteratur, mit ETA Hoffmann, dessen 250. Geburtstag im kommenden Jahr gefeiert wird. (Andreas Reuß)
Jeweils bis 23. Dezember. Ausstellungen in der Staatsbibliothek Bamberg, in der Neuen Residenz am Domplatz und in der Landesbibliothek Coburg im Schloss Ehrenburg am Schlossplatz, mit umfangreichen Begleitprogrammen.
www.staatsbibliothek-bamberg.de, www.landesbibliothek-coburg.de
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