Kultur

„Ersaufen ist auch ein Genuss, und vielleicht wird man dann nie mehr nüchtern“, heißt es in Ringelnatz’ Gedicht "Seemannsgedanken übers Ersaufen". Ob diese Zeilen Karl Arnold zur Titelillustration des Gedichtbandes (1923) inspiriert haben mögen? (Foto: Gulbransson Museum)

24.08.2012

Sehnsucht nach Überfluss

Das Gulbransson Museum zeigt Karl Arnold als Illustrator bekannter Bücher

Knusprig gebratene Schweinderl mit geschliffenem Messer im Rücken: heute eher eine Body-Mass-Schreckensvision, 1924 nach Weltkrieg und Inflation ein Wunschbild. Karl Arnold (1883 bis 1953) hat es in seinen Illustrationen zum Schlaraffenland von Hans Sachs mit spürbarer Sehnsucht, vielleicht auch Hunger im Magen, entworfen. Jetzt stellt das Olaf-Gulbransson-Museum in Tegernsee parallel zur Staatlichen Grafischen Sammlung in der Münchner Pinakothek der Moderne Buchillustrationen von Gulbranssons Simplicissimus-Kollegen aus: erstmals seit 40 Jahren und mit den 20 Blättern der Schlaraffenland-Fresser im Mittelpunkt.
Es ist die Sehnsucht nach Überfluss und Frieden, die vordergründig aus diesen farbigen Blättern spricht. Das Schlusswort aber hebt den moralischen Zeigefinger. Da ist diese breughelhafte Parade der gebratenen Hühner, gesottenen Fische und des unablässig sprudelnden Weinbrunnens für die „träge Art“ einer „faulen und unmäßigen Jugend“ keine Belohnung, sondern eine Strafe. Der Rat aus der Nach-Inflations-Misere von 1924: „Weil faule Weis’ nie Gutes bracht’.“
Denn in diesem von Arnold gezeichneten Schlaraffenland treiben doch recht zweifelhafte Ideen ihr Unwesen: „Wer gar nichts kann, ist im Land ein Edelmann“ und „Der beste Rittersmann ist er, der am besten mit Leberwürsten fechten kann“.

Lüsterne Kavaliere

Die Moral hält einen aber nicht davon ab, sich vor den vor Fett und Wein triefenden Bildern zu amüsieren: alles hübsch eingerahmt von üppig blühenden Girlanden aus Weinreben oder Kuchenkringeln – da ist noch ein bisschen Jugendstil im Spiel um die schönen, gleichmäßigen Lettern herum, für die Arnold ebenso als Typograf zuständig war. Und das in einer Zeit, die noch etwas für „schöne“ Bücher übrig hatte: für so heimelige Einbände wie dem zu Ludwig Thomas Altaich, für Illustrationen wie zum ironischen Entwicklungsroman Babette Bomberling der Bestsellerautorin Alice Berend. Dort sieht man die Eltern Bomberling fett und feist als Kriegsgewinnler am Schreibtisch oder vor der Portiere sitzen und ist gedanklich schnell bei Dix oder Grosz und deren bildnerischen Gesellschaftskritik der Weimarer Zeit.
Da bewährt sich Arnolds treffsicher karikierende Menschensicht und Porträtkunst der wenigen Striche. Auch auf so einem Blatt wie Rund um den Verkehrsschutzmann, der von zwei lüsternen Kavalieren gefragt wird: „Ach bitte, wo kann man sich hier amüsieren?“ – dieselben Herren, ein paar Jahre später dann: „Verzeihung, wo verkehren hier die vaterländischen Kreise?“
Der Simplicissimus gab die Bühne als politisches Kampfblatt, und Karl Arnold war ein scharfer Kritiker Hitlers. Kein Wunder, dass seine Bilder 1938 von der Reichsschrifttumskammer als unerwünscht indiziert wurden – aber 1939 wurde er trotzdem mit einem Professorentitel (freilich ohne Mittel) dekoriert. Nach dem Zweiten Weltkrieg schätzte man weiterhin seine kritisch-hellsichtige Art, 1952 bekam er den Münchner Förderpreis, wurde in seinem Todesjahr 1953 Ehrenmitglied der Akademie der Bildenden Künste. Und amüsiert nimmt man auch heute in der Tegernseer Ausstellung nahe Wildbad Kreuth zur Kenntnis, wie sich der grantige Lederhosen-Bayer den knorrigen Ast einer stämmigen deutschen Eiche absägt – Sinnbild für „Bayern und das Reich“: „Es ist ja nur vorübergehend.“ (Uwe Mitsching)

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