Kultur

Mit verwegenen Koloraturen antwortet Lady Magnesia (Susanne Bernhard) auf die Mordversuche. (Foto: Thomas Dashuber)

24.05.2019

Skurrile Mordsgeschichte

In „Lady Magnesia“ beim Münchner Weinberg-Festival begeistert vor allem das Jewish Chamber Orchestra Munich

Aktuelle Nachricht: Frau bringt Mann mit gefüllten Tortellini um. Bei Mieczyslaw Weinberg heißt das: Mann bringt Frau erst mit dem Küchenmesser, dann mit vergiftetem Cocktail um – alles allerdings ohne Erfolg. Aber in der Oper „Lady Magnesia“ des russischen Komponisten trinkt dann der Kammerdiener und Geliebte der Lady das Gift. Der gehörnte Ehemann weiß Rat: Gips als Gegengift. Aber dadurch wird der Diener zur Büste für den Kamin.

Viel skurriler kann ein Opernlibretto kaum sein. George Bernard Shaw hat sich 1905 die Geschichte ausgedacht, Weinberg hat sie komponiert, konzertante Aufführungen gab es bereits - jetzt kam die englische Gesellschaftskomödie beim Weinberg-Festival des Jewish Chamber Orchestra Munich auf die Bühne der Münchner Kammerspiele. Und bekam in der „szenischen Einrichtung“ durch Miriam Ibrahim noch mehr Abgründiges dazu, auch einen Touch Georges Feydeau. Die Aufführung war der  Höhepunkt des kleinen, aber feinen Festivals. Ohnehin ist das Interesse an Weinbergs sechs Opern seit der Bregenzer Festspielaufführung von „Die Passagierin“ stetig gewachsen.

David Grossmann hat sein JCOM in den improvisierten Kammerspiel-Orchestergraben gesetzt, braucht unter den 16 Musiker*innen auch Gitarren, Schlagzeug, Klavier und Harmonium. Er hat sich für das Entrée ins viktorianische Ehedrama einen dreiteiligen Prolog ausgedacht: Zur gravitätischen Musik von Lully kommen die Sänger in ihren einfallsreichen Weiß-Silber-Glitzer-Kostümen (Nicole Wytyczak) auf die Bühne. Zusammen mit einer Weinberg-Arie und einem Techno-Loop, mit hübsch Barockem und authentisch Russischem wird nicht nur auf Weinbergs Polystilistik hingewiesen, sondern zugleich auch das schwül-erotische Ambiente der Lady/Kammerdiener-Liaison vorbereitet.

Miriam Ibrahim entscheidet sich für den folgenden Einakter nicht für ein wildes Mordkomplott, sondern für eine Art zirzensischer Abstraktion, für Bob-Wilson-Bewegung und Entschleunigung. Als Regieassistentin an den Kammerspielen kennt sie die Möglichkeiten, die sich ihr bieten, setzt auf eindrucksvoll schlingernde, fließende Glas- und Farbtropfen per Video, verzichtet auf alles schrullig Englische, erfüllt aber eindrucksvoll und unterhaltsam die Ankündigung der Dienerin: „Mir scheint, es riecht nach Mord.“ Und die Mordmesser flimmern da auch schon über die Leinwand: gefährliche Liebschaften.

Auch in den Gesangspartien von „Lady Magnesia“ findet dieses komische Mordtableau seinen passenden Ausdruck: Juan Carlos Petruzziello singt sich höchst charaktervoll in verwegene Tenorhöhen und sieht mit seiner schwarzen Maske aus wie der Chef-Clown vom Circus Krone. Die Lady der souveränen Susanne Bernhard antwortet auf die Mordversuche mit verwegenen Koloraturen. Petro Ostapenko ist ein herrlich pummeliges Objekt der adeligen Begierde, putzig in seinem „neuen Frack“, zu dem die Musik  herrlich komische Kommentare findet und Weinberg das Saxophon säuseln lässt. Das Quartett  wird von Yulia Sokolik als Dienern Phyllis vervollständigt, die auch ihre erotischen  Interessen an der Lady hat.

Der Hauptdarsteller aber ist das Orchester. Das ist unter der Leitung von David Grossmann klanglich so vielgestaltig, dass es zum Top-Akteur dieser skurrilen Opernstunde wird:  dunkel getönt am Anfang zu  schalmeienhaften Engelschören (vom Band) und mit allem, was Mieczyslaw Weinberg nach dem Krieg an Neuer Musik kennengelernt hatte: Weill, Strawinsky, Jazz, die damals aktuellen Franzosen. Herrlich, wie er mit den ausdrucksstarken Instrumenten kriminalistische Aufregung inszeniert, ganz typisch mit drastischem Marcato arbeitet, das Cello süffisant zum Gifttrank singen lässt. Manches – besonders der Schluss – klingt wie große Filmmusik, die sowieso Weinbergs Spezialität war, manches wie altes Stummfilmkino. Das nimmt die Regie besonders bei der Lady deckungsgleich auf. Nach so viel Mordgelüsten macht die Dame schnell Umschmiss: vom toten Diener zum lebenden Ehemann. „Auf ewig“, singen die beiden im großen Schlussduett, und das Klavier klimpert anzüglich dazu. (Uwe Mitsching)

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