Kultur

Bravouröser Auftritt: Der französische Countertenor Philippe Jaroussky begeistert auch beim Kissinger Sommer. (Foto: Kissinger Sommer)

17.07.2019

Sommerlicher Stimmenzauber

Ein Rückblick auf den Konzertreigen des "Kissinger Sommers"

Den Anfang des Musikreigens "Kissinger Sommers" machte die konzertante Aufführung von Richard Wagners „Rheingold“. Als Gastspiel des „Mindener Rings“ glänzte hier vorrangig das Orchester, die hervorragend aufeinander abgestimmte und sehr sängerdienlich spielende Nordwestdeutsche Philharmonie unter der energisch fordernden Leitung von Frank Beermann.

Mit den typischen Wagner-Instrumenten ausgestattet, konnte sie gleich mit geheimnisvollen Leuchten in den Bann ziehen, Lyrisches formulieren und sich immer wieder überwältigend steigern. Ein weiteres Plus waren die jugendlich schlanken Stimmen der Sängerinnen und Sänger, angefangen bei dem herrlich harmonischen Trio der koketten Rheintöchter, Woglinde, Ania Vegry, Wellgunde, Christine Buffle, und Flosshilde, Tina Penttinen.

Die Götter, der eher in sich ruhende Wotan, Thomas Pursio, ein angenehm voller Bariton, assistiert von Donner, Andreas Kindschuh, und Froh, André Riemer, hatten ihren eigentlichen Anführer in dem machtvoll und überragend gestaltenden Thomas Mohr als Loge.

Die Göttinnen, Wotans Gattin Fricka, Kathrin Göring, ein eher vibrato-betonter großer Mezzosopran, und Freia, Julia Bauer, ein heller, leichter Sopran, fanden in Erda ihre bestimmende Autorität, bei Janina Baechle mit ihrem dunkel-samtigen Alt und funkelnden Linien und Höhen.

Das Drama um den Ring aber wird entfacht durch den goldgierigen Alberich, von Heiko Trinsinger äußerst ausdrucksstark mit seinem flexiblen Bariton dargestellt; sein Bruder Mime, Dan Karlström, wirkt ihm gegenüber mit seinem etwas trockenen Tenor hoffnungslos unterlegen. Auch beim zweiten Brüderpaar, den Riesen, gibt es einen Verlierer: Fasolt, Karel Martin Ludvik, wird von Fafner, James Moellenhoff, einem starken Bass, am Schluss erschlagen. Der Kampf um den Ring bringt kein Glück.

Nach dem strahlend mächtigen Orchester-Finale ist das Publikum im Bad Kissinger Max-Littmann-Saal völlig begeistert, denn auch ohne eigentliche Bühnenhandlung wurde durch die angedeuteten Gesten und die gute Textverständlichkeit das dramatische Geschehen bestens verständlich.

Irritiertes Publikum

Wenn angekündigte „Barocke Bravourarien“ erst im zweiten Teil des so angekündigten Konzerts ertönen und auch ansonsten vieles nicht zum Titel passt, ist man verstimmt. Sowohl Veranstalter als auch Publikum waren etwas irritiert von dem, was das recht ruppig  aufspielende Originalklang-Ensemble „La voce strumentale“ unter seinem Leiter Dmitry Sinkovsky bot. Eigentlich sollte die wunderbare Sopranistin Julia Lezhneva im Vordergrund stehen, und sie war auch unbestritten der Star. Störend war da, dass Sinkovsky sich als „Großmogul“ an der Geige im Violinkonzert D-Dur RV 208 von Vivaldi mit einer Demonstration seines rasanten Virtuosentums präsentierte und dass er sich auch überraschender Weise als Countertenor mit strahlenden Höhen und etwas hohlen Tiefen bewährte.

Doch auch die Programmfolge berührte seltsam: Der erste Teil war bis auf das virtuose Feuerwerk der kompletten, opernhaften Motette „In furore iustissimae irae“ von Vivaldi ein in sich ruhender, geistlicher Preis Gottes, den die Sängerin mit der Arie „Laudamus te“ von Bach einleitete.

"Nachtigall aus Sachalin"

Bei Vivaldi konnte Julia Lezhneva dann das breite Ausdrucksspektrum ihres klaren, vollen, runden Soprans entfalten, mit glänzenden Linien und strahlenden Betonungen begeistern; unglaublich ihre scheinbar mühelos dahin fließende lockere Kette von Verzierungen, ihre spürbare Lust am Singen, wenn sie mit glitzernden Koloraturen die Natur-Idyllen in „Zeffiretti…“ nachzeichnet, und bei Händel-Arien steigerte sie das Furiose noch. So stattete sie die Rossane mit viel Elan in den sanften Linien aus, zeigte sie als das gefangene Vögelchen im goldenen Käfig mit zwitschernden Koloraturen, und die Schilderung des glänzenden Meeres mit zitternden Wellen erwies sich nicht als äußerliche Stimmakrobatik, sondern war virtuoser Ausdruck innerer Seelenzustände eines von Freude erfüllten Herzens. Nach solch überwältigenden Darbietungen der Sängerin (artist in residence des diesjährigen Kissinger Sommers) war der Saal in jubelndem Aufruhr und entließ die „Nachtigall aus Sachalin“ erst nach fünf Zugaben.

Bamberger Symphoniker begeistern mit Operette

Als „Operngala“ war der Abend mit den Bamberger Symphonikern unter Manfred Honeck angekündigt, aber dem entsprach nur der erste Teil; danach gab es Operette. Doch die beiden Sänger, der Tenor Benjamin Bruns und die Sopranistin Simona Saturová, schienen Spaß daran zu haben und entwickelten dabei kleinere Szenen. Das konnte nicht ganz darüber hinwegtäuschen, dass dem Sänger für die berühmte Arie des Don Ottavio von Mozart „Il mio tesoro“ und den Ohrwurm des Nemorino „Una furtiva lacrima“ von Donizetti einfach lyrischer Schmelz und eine gewisse Weichheit der kräftigen, etwas trockenen Stimme fehlten; er presste manchmal zu sehr. Dagegen konnte die Sängerin aus Bratislava durchaus überzeugen mit ihrem klaren, hellen Sopran und kluger Gestaltung, als Donna Anna und als Violetta; vor allem mit den wunderbar glänzenden Höhen. Bei den Operetten-Schlagern aber konnte Bruns dann schmetternd loslegen, während sie temperamentvoll und voller Lebenslust Mitreißendes bot. Dass die Bamberger auch Operette können, bewiesen sie in einer spritzig  schwungvollen „Fledermaus“-Ouvertüre. Natürlich tosender Beifall.

Sternstunde des Liedgesangs

Wo erlebt man das schon, dass nach einem Liederabend das Publikum im ausverkauften Rossini-Saal geschlossen aufsteht, mit Trampeln und Bravorufen seiner Begeisterung lange Ausdruck gibt? Bei Schuberts „Winterreise“ fand solch eine Sternstunde des Liedgesangs statt. Zu verdanken war sie zwei exzellenten Künstlern, dem fantastischen Pianisten Igor Levit und dem Tenor Simon Bode. Auch wenn manchem seine schlanke, gerade geführte, eher kernige Stimme vielleicht nicht so gefällt – in Sachen Textverständlichkeit und Wortdeutung übertrifft ihn kaum ein Kollege. Er nimmt jedes Wort, jede Regung des unglücklichen Wanderburschen ernst, der auf seiner Reise ans Ende des Lebens den Leiermann trifft, eine Symbolfigur für den Tod, wobei letztere Erfahrung rätselhaft offen bleibt. Manchmal scheint der Sänger zu leichter Übersteigerung zu neigen.

Doch die schlüssige Interpretation ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang, der Spiegelung des Seelenzustands eines Melancholikers, der immer mehr zur Erkenntnis gelangt, dass das Leben für ihn nur noch Trostlosigkeit bietet, trotz aufscheinender schöner Erinnerungen. Ein großes Plus an diesem Abend war der Pianist, denn Levits fein modulierende Anschlagkunst, seine klug eingesetzten Tempi und Pausen begleiteten den Text nicht nur, sondern eröffneten die Deutung des emotionalen Hintergrunds, mal schmerzlich schön, mal heftig, wie von innerem Aufruhr bewegt, dann kostbar wie beim schlicht vorgetragenen „Lindenbaum“. Oft vermeinte man die Schritte des Wanderers zu hören.

Wenn Bode das „Fremd bin ich eingezogen“ auch etwas zurückhaltend begann, so schlug im Verlauf des Zyklus die Stimmung bald um ins Trotzige. Der Tenor variierte klug mit der Stärke seiner hell getönten Stimme, konnte sie angenehm weiten, lichte Höhen gestalten, und der schmerzliche Ausruf „Mein Herz“ klang immer wieder anders. Kraftvolle Betonungen in „Die Krähe“ und starke Steigerungen in „Letzte Hoffnung“ wiesen auf das Kommende, und als nach dem zutiefst trostlos nach Zuversicht sich wandelndem „Wegweiser“ und den sanft-lyrischen, ruhig endenden „Nebensonnen“  der „Leiermann“ wie fragend schloss, ohne dass sich eine Antwort andeutete, war nach einer kurzen Pause des Durchatmens das Publikum einfach überwältigt.

Musik wie eine Droge

Nach einem unglaublich faszinierenden Abend mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter Paavo Järvi konnte man den Titel „Ein Quantum Verstörung“ keineswegs verstehen, denn verstört verließ niemand den Max-Littmann-Saal, im Gegenteil: Nicht nur das Orchester begeisterte völlig mit der Manfred-Ouvertüre und der Frühlings-Sinfonie Schumanns, sondern vor allem Daniil Trifonov faszinierte im Klavierkonzert des Komponisten im traumhaften Einverständnis mit dem Orchester; der Pianist scheint Musik wie eine Droge in sich aufzusaugen, alle Empfindungen unmittelbar in die Tasten zu übertragen, in seine differenzierte Phrasierung, in die Leuchtkraft seiner in sich strukturierten, virtuosen Läufe, in seine variable Anschlagskunst, in seine selbstverständliche Brillanz der lockeren Verzierungen. Stürmischer Beifall.

Kosmos der Gefühle

Mit seinem Cavalli-Programm begeisterte Philippe Jaroussky den Regentenbau. Auch wenn die Eingangssinfonie zu „Ercole amante“ aus der Feder des Opern-Vielschreibers Francesco Cavalli (1602-1676) noch etwas altertümlich vom Ensemble Artaserse klang, wunderbar warm im Ton, mit sanft-süßen Streicher-Linien und kraftvollen Holzbläsern, man tauchte schnell in diesen Kosmos von Gefühlen ein, von friedlicher Naturbeobachtung, wie in „Ombra mai fu“, von Betrachtung des Werts der Freiheit, der Klage über unverdientes Schicksal, Schmerz über verlorene Liebe, schlimme Mitmenschen, Todessehnsucht, flüchtige, trügerische Schönheit, Kampfesmut und Sehnsucht nach Ruhm.

Denn der weltweit gefeierte Countertenor Jaroussky aus Frankreich betörte mit seiner hell tragenden, glänzenden Stimme, den lockeren Verzierungen, den gefühlvoll abgestuften Betonungen, der unaufdringlichen Virtuosität, der Gestaltung von Freude, Trauer und schließlich emphatischer Aufbruchsstimmung zusammen mit munterem Schlagwerk in der schwungvollen Steigerung. Dazu kam, dass die kleinen Opernausschnitte aus immerhin 11 von 43 Cavalli-Werken geschickt miteinander verknüpft waren, durch die wechselnden Stimmungen auch immer wieder neue Aspekte hervortraten, und alles zu einem harmonischen Hörerlebnis wurde. Das Publikum brach in langen Jubel aus, und die Zugaben wurden bekrönt von einem schrägen „Girl of Ipanema“ – Begeisterung pur!

Faustdicke Überraschung

Beim zweiten Kammerkonzert mit dem Nachwuchs-Ensemble „2012 Russland-Deutschland“ gab es für die leider wenigen Besucher im Rossini-Saal eine faustdicke Überraschung, nämlich die hervorragende Mezzosopranistin Yulia Matochkina, Mitglied des Mariinsky-Theaters in St. Petersburg. Sie bot in den vier „Totentanzliedern“ von Modest Mussorgsky Stimmkultur vom Feinsten mit ihrer makellos reinen, vollen, strahlenden Stimme. Ihr galt der Jubel des handverlesenen Publikums.

Romantisches aus Deutschland und Frankreich

Ein bisschen kühl war es bei „Sommernächte“ in Bad Kissingen. Doch der Abend mit dem Münchner Rundfunkorchester unter dem spanischen Dirigenten Ramón Trebar und dem deutschen Tenor Julian Prégardien ließ die vielen Zuhörer sich schnell für das interessante, etwas ungewöhnliche Programm erwärmen. Der erste Teil war der deutschen Romantik, der zweite der französischen gewidmet.

Der Beginn mit Webers „Oberon“-Ouvertüre kam melodiös, schwungvoll, oft geradezu charmant, leuchtend. Die Schubert-Lieder, die man sich eigentlich mit Klavier vorgestellt hatte, erhielten durch die Orchester-Begleitung mehr idyllische Illustrierung, und Prégardien versah sie mit seiner jugendlich klaren Stimme mit feiner, nie übertriebener Gestaltung, mit viel Ruhe bei „Im Abendroth“, und beim „Wolkenmädchen“ ließ er Schaurig-Dramatisches miterleben.

In der Konzertouvertüre „Meeresstille und glückliche Fahrt“ von Mendelssohn gelang dem Orchester eine wunderbare Schilderung von Naturstimmungen. Bei den Liszt-Liedern zu „Wilhelm Tell“, vom Komponisten selbst orchestriert, überwiegt der dramatische Nachdruck, und da Prégardien nie übersteigert, sondern subtil textgenau gestaltet, geriet er beim „Alpenjäger“ ein wenig in den Hintergrund. Bei der „Lorelei“ aber gewann er mit der Schilderung des Abendsonnenscheins feinsten Glanz, und den tragischen Untergang des Schiffers konnte man unmittelbar mitempfinden.

Ganz anders in der Aussage die Tondichtungen von Hector Berlioz. Nach einem schwärmerisch leuchtenden, immer stärker dahin wirbelnden „Le carnaval romain“ erklang der Zyklus „Les nuits d’été“ expressiv, farbig, keineswegs gefällig; manche Hörer empfanden ihn sogar als schwermütig. Prégardien ließ die Vokale fein leuchten, formte sie stets anders; die Stimmung wechselte bald zum Melancholischen, schmerzlich Schönen, bei der „Trennung“ gefielen die vielfältigen Ausdrucksfacetten, und der Mondschein auf dem Friedhof klang fast unwirklich tröstlich; alles endete in innerem Frieden. Der jubelnde Beifall steigerte sich noch bei den Geburtstagsglückwünschen samt Torte für den Sänger.

Packende Hörerlebnisse

Der Kissinger Sommer endete geradezu beglückend - sängerisch, orchestral und vom Programm her. Nach einer aufregend düsteren „Don-Giovanni“-Ouvertüre von Mozart, sehr akzentuiert gespielt von der schlank musizierenden Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter Paavo Järvi, bezauberte mit Beethovens Szene und Konzertarie „Ah perfido!“ die klare, helle, glanzvolle Sopranstimme von Julia Lezhneva mit feinen Linien, lichten Verzierungen, funkelnden Höhen und viel Inbrunst in der dramatischen Gestaltung.

Das leitete über zum ersten Höhepunkt des Abends, zu Mozarts beliebter Motette „Exsultate, jubilate“, von der Sämgerin mit melodischer Süße, einem Feuerwerk lockerer Koloraturen bis hin zu einem kraftvoll befreit jubelnden Alleluja ausgestattet. Das war die passende Überleitung zu Mozarts c-Moll-Messe, vom Orchester mit prägnanten Figuren begonnen; bewundernswert hier das klug strukturierende Dirigat Järvis, die kunstvoll ausgekosteten Betonungen, differenzierten Abstufungen. Und der Chor des Bayerischen Rundfunks schuf packende Hörerlebnisse, nicht nur durch den ausgeglichenen Klang von Frauen- und Männerstimmen, sondern auch durch die strengen, mächtigen Akzentuierungen, die weichen oder die spannenden, fugierten Passagen.

Diesen Eindruck steigerten noch die Solisten, so aus dem Chor der hervorragende Bass Michael Mantaj, die beiden angenehm timbrierten Tenöre MoonYung Oh und Andrew Lepri Meyer, und natürlich schwebte über allem der Glanz der beiden Frauenstimmen, der etwas dunkler gefärbte, höhenstarke Sopran von Valentina Farkas, mit leuchtendem Vibrato und weiten Verzierungen wunderbar in „Et incarnatus est“, und kraftvoll strahlend der von Julia Lezhneva, beeindruckend mit virtuosen Verzierungen in „Laudamus te“; zusammen im Duett waren sie einfach Genuss. Als mit einem beschwingt festlichen „Osanna in excelsis“ das Festival ausklang, war der Jubel im voll besetzten Saal riesig.    (Renate Freyeisen)  

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