Kultur

Hermann Glaser feiert am heutigen Freitag seinen 87. Geburtstag. (Foto: dpa)

28.08.2015

Spährenflug und Furchenblick

Hermann Glaser hat die erste Literaturgeschichte Frankens geschrieben, eine spannend zu lesende Mentalitätsgeschichte

Ein Höhepunkt des Erlanger Poetenfests, das am gestrigen Donnerstag begonnen hat, wird die Vorstellung des neuen Buches von Hermann Glaser. Mit seinem jüngsten Werk legt der langjährige Nürnberger Kulturdezernent und renommierte deutsche Kulturpolitiker die erste Literaturgeschichte Frankens vor. Mit fast 600 Seiten ein opulentes, reich bebildertes Werk. In seiner völkischen Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften münzte der Germanist Josef Nadler in den 1920er Jahren die deutsche Literatur auf „arisches Blut und germanischen Boden“ und widmete natürlich auch dem alten Stamm der Franken und seinen Dichtern ein Kapitel. Jetzt rückt die erste Literaturgeschichte der fränkischen Literatur diesen verzerrten Blick auf die Literatur zurecht.

Lockerer Erzählton

Dabei versteht sich Glasers Werk gar nicht als Literaturgeschichte im klassischen Sinne. Vielmehr wirft Glaser in seiner tour d’horizon durch die oft als provinziell verschriene Literaturlandschaft zwischen Donau und Main den Blick auf Schriftsteller, Dichter und Denker und ihre Werke, die in der fränkischen Idylle Romantik und Realismus, Heimat und Provinz oder – wie Jean Paul – „Sphärenflug und Furchenblick“ literarisch unter einen Hut zu bringen versuchten.
Damit zeichnet Glaser nicht akribisch Biografien und Literaturdaten nach, sondern schildert im Erzählton gleichsam – und deswegen leicht, ja spannend zu lesen – das Psychogramm einer höchst vielfältigen, bunt kolorierten Literatur, die sich eben nicht auf einen Begriff bringen lässt. Mit aufklärerischem Furor schreibt er gleichsam eine fränkische Mentalitätsgeschichte, die die „geistige Seelenlandschaft“ Deutschlands durch zwei Jahrtausende widerspiegelt.
Zwischen Germanenkult und Gartenlaube mäandert Glaser ideologiekritisch durch eine Literatur, die hohe Klassik – wie etwa Jean Paul – mit antijüdischen und nationalistisch-chauvinistischen Ressentiments (Richard Wagner, Bayreuth und seine Folgen) in einem Atemzug versammelt. Und bettet die solcherart schon topografisch ausfransende „fränkische Literatur“ in den Gesamtzusammenhang der deutschen Literatur und deren Epochen ein.
Da stehen dann das Mittelalter und Walther von der Vogelweide als Urvater fränkischer Literatur zwar am Anfang – aber ob Walther von der Vogelweide tatsächlich aus Franken stammt und in Würzburg im Grabe liegt, ist bis heute beliebte Behauptung in fränkischen Landen, wo man gerne „im Kleinen groß, aber im Großen kleinlich“ ist.
Danach geht es in dieser ganz und gar nicht lexikalisch konzipierten Literaturgeschichte, die eigentlich eine Ideengeschichte ist, durch die Jahrhunderte: nicht immer chronologisch, sondern Themen und Stoffe, Historisches und Politisches, Mentalitäten und Sozialgeschichtliches bis hin zum Sozialpathologischen zusammenraffend und in eingestreuten Kommentaren auf den Punkt bringend.
Stationen auf diesem Wege sind die Nürnberger Humanisten und natürlich Hans Sachs, der mit seiner Spruchdichtung und seinen Meistergesängen zumindest in Richard Wagners Meistersingern von Nürnberg überlebte. Es folgt der sprichwörtliche „Nürnberger Trichter“ des barocken „Pegnesischen Blumenordens“ (die noch heute existierende älteste deutsche Literatur- und Sprachgesellschaft), ehe man bei Goethe in Franken landet, der seinen Götz von Berlichingen im Fränkischen ansiedelt, freilich auch viel Rühmliches über Franken von sich gab.
Dass die deutsche Romantik in Franken, genauer in der Fränkischen Schweiz ge- und erfunden wurde, weiß man aus den Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders von Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder: Darin legten die beiden ihre Wanderung von Nürnberg nach Bamberg in kunstsinnigen Aufsätzen nieder.
Viktor von Scheffel schließlich schrieb den Franken ihr Lied auf den Leib und besang die fränkischen Lande von oben, vom Staffelberg bei Staffelstein. Ob man Jean Paul als fränkischen Dichter vereinnahmen kann, wagt auch Hermann Glaser zu bezweifeln, denn der deutsche Klassiker dichtete weit über Franken hinaus und lässt sich schwerlich auf Franken herunterbrechen. Was auch von dem Philosophen Friedrich Hegel gilt, der zwar in Bamberg und Nürnberg ein Gastspiel gab, dann aber doch in Berlin über Franken hinauswuchs, obgleich er Franken nachtrauerte.
Mit E. T. A. Hoffmann ist man dann wieder in Bamberg, wo der Dichter sein „romantisches Bildungserlebnis“ hatte, freilich nicht länger verweilte. Ganz im Gegensatz zu Ludwig Feuerbach, dem Atheisten, der in Nürnberg völlig verarmt starb und begraben liegt, verewigt auf einem Denkmal mit dem damals, im 19. Jahrhundert, ungeheuren Satz: „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde!“
Weit über eine Literaturgeschichte hinaus, kann Glaser so mühelos in seine „Literaturlandschaft Franken“ auch Philosophen wie Hegel und Feuerbach einbeziehen, weil es ihm um „literarische Formationen“ geht und nicht um eine belletristische fränkische Nabelschau.

Breitmäuliges Idiom

Einen Exkurs widmet er dann der fränkischen Mundartdichtung: Der Nürnberger Fitzgerald Kusz, der Erlanger Helmut Haberkamm und der Bamberger Gerhard Krischker haben dem breitmäulig fränkischen Idiom literarisch zum Durchbruch verholfen.
Die legendäre „Gruppe 47“ schließlich fand während ihrer Tagung auf der Pulvermühle in der Fränkischen Schweiz ihr Ende, worauf Glaser ebenfalls einen Seitenblick wirft. Folgerichtig geht er auch auf eines der prominentesten Mitglieder der „Gruppe 47“ ein: Hans Magnus Enzensberger, der einige Jahre in Nürnberg lebte und in Erlangen studierte. Als richtige Franken, wenn auch nicht als Literaten, sondern eher als Essayisten und scharfzüngige Polemiker kann man Karl Heinz Deschner und Hans Wollschläger nennen, die in Franken lebten und ihre Aufsehen erregendsten Bücher hier schrieben.
Glasers Streifzug durch die unterschätzte und wohl oft auch übersehene „Literaturlandschaft Franken“ endet in der Gegenwart, nennt Namen wie die beiden Bamberger Schriftstellerinnen Tanja Kinkel und Nora Gomringer, welchletztere gerade in Klagenfurt mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde. Was für das literarische Franken hoffen lässt, denn hier liegt – wie Jean Paul sein Franken lobte – der Himmel näher an der Erde. (Fridrich J. Bröder) Hermann Glaser, Franken – eine deutsche Literaturlandschaft. Schrenk Verlag, Gunzenhausen, 584 Seiten, 65 Euro. ISBN 978-3-924270-66-7


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