Kultur

Dem Täter auf der Spur: Fotovergleiche sollten vor allem die Identität Eichmanns, der nach 1945 mehrere falsche Namen benutzte, klären helfen. Hier ein Detail aus seiner Akte des kriminaltechnischen Labors. Darauf eine der ersten Aufnahmen von Eichmann in Argentinien, die der Agent Zvi Aharoni mit versteckter Kamera machte. (Foto: Roy Hessing)

19.01.2024

Spektakuläre Verbrecherjagd

In München gastiert eine aufwendig inszenierte Ausstellung über die Verfolgung, Ergreifung und Entführung Adolf Eichmanns

Dass Antisemitismus und Desinteresse an der Verfolgung der Täter aus dem Nationalsozialismus zunehmen, ist unübersehbar. Da kommt eine Ausstellung im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst (SMÄK) in München genau zum richtigen Zeitpunkt, zeitgemäß angepasst ist ihr fast flapsiger Titel: How to catch a Nazi. Wie man einen Naziverbrecher des Holocaust schnappt, das wird hier wie eine Agentenstory von vor über 60 Jahren spannend wie ein Krimi erzählt und will besonders ein junges Publikum ansprechen: mit kurzen Sätzen, vielen Bildern, Realien wie alten Fernschreibern und gefälschten Nummernschildern.

„Operation Finale. Die Ergreifung und der Prozess von Adolf Eichmann“ ist die Schau untertitelt. Es geht um eine der zentralen Nazigrößen, die maßgeblich verantwortlich war für die Verfolgung, Vertreibung und Deportation von Juden.
Im großen Sonderausstellungsraum des Museums hat man wie Buchkapitel Abschnitte der Biografie Eichmanns (1906 bis 1962) eingebaut. Im Fokus stehen seine Flucht nach Südamerika und seine Aufspürung durch den israelischen Geheimdienst Mossad bis hin zum Prozess und seiner Hinrichtung. Man kommt sich in dem langen, schmalen Gang dorthin ein bisschen vor wie beim Kampf der Israelis gegen die Hamas im Untergrund von Gaza heute.

In acht Städten wurde die Ausstellung bereits gezeigt, bis sich die amerikanische Adolf Rosenberger gGmbH entschloss, „Operation Finale“ auch nach Deutschland zu bringen. Partner wurde in München unter anderem das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst – vielleicht deswegen, weil dort, wo es heute in der Gabelsbergerstraße steht, ab 1938 ein NS-Kanzleigebäude gebaut werden sollte, wofür schon die alten Wohnhäuser abgerissen worden waren.

Lächelnder Karrierist

Um das Bild des milde lächelnden Adolf Eichmann gruppiert die Ausstellung zentrale Bilder des Dritten Reiches und die Biografie des im nordrhein-westfälischen Solingen Geborenen vor der Kulisse des kriegszerstörten Nürnberg: Eichmann war Mitglied der SS und der NSDAP und unverkennbar karrieregeil. Ein neuer Lebensabschnitt eröffnete sich mit dem Überfall auf Polen: Am 29. September 1944 erhielt er als Obersturmbannführer das Eiserne Kreuz für die Organisation der Deportation von 400 000 ungarischen Jüdinnen und Juden nach Auschwitz.

Es folgt in Gegenüberstellung das Leben Eichmanns in den ersten Nachkriegsjahren als US-Kriegsgefangener, als Förster und Hühnerhalter in der Lüneburger Heide einerseits, und andererseits werden die ersten Jahre des 1948 gegründeten Staates Israel und die Bedürfnisse einer neuen Nation reflektiert. Ein Nazinetzwerk verschafft ihm einen neuen Namen und einen neuen Pass (Ricardo Klement), zudem die Überfahrt von Genua nach Argentinien. Dort konnte er als Elektriker bei Mercedes-Benz arbeiten. Er führte fortan eine Existenz im Dunklen.
Im Kontrast sieht man in der Ausstellung, wie David Ben-Gurion, Israels erster Ministerpräsident, ein Bäumchen für das neue Israel pflanzt und Nahrungsmittelrationen verteidigt: „Food is rationed to ensure a fair share to everyone“ – lieber weniger, dafür aber für alle.

1948 wurde die erste Akte für Naziverbrecher angelegt. Ins Spiel kam in Deutschland der Generalstaatsanwalt für Hessen, Fritz Bauer in Frankfurt, ein Holocaust-Überlebender. Eine erste Spur zu Eichmann tat sich auf: über eine Bekanntschaft zwischen Silvia Hermann, zwölfjährige Tochter eines jüdischen Dachau-Überlebenden in Buenos Aires, mit Eichmanns ältestem Sohn Klaus (17), die sich in einem Kino kennengelernt haben. Der Verdacht Lothar Hermanns ging an Fritz Bauer, der ihn an den israelischen Geheimdienst Mossad weiterleitete. Die Nachforschungen in Südamerika begannen. Man sollte nichts in dieser Ausstellung auslassen, um das Ineinandergreifen dieser „Nazijagd“ zu begreifen. Alles ist spannend – und zugleich von Grauen überschattet.

Der böse Totengeist

„Dibbuk“ hieß die israelische Geheimdienstaktion; ein Dibbuk ist dem jüdischen Volksglauben nach ein böser Totengeist, der in einen Lebenden einfährt – hier Eichmann in das jüdische Volk. In simplen Schachteln sammelte der Mossad das Material, das letztlich zu Eichmann führte. In der Ausstellung fühlt man sich selbst wie von den umstehenden Pappkameraden beschattet.

Sehenswert ist auch in einem Filmzelt das Video, in dem der Leiter der Aktion, Rafi Eitan, den entscheidenden Zugriff auf Eichmann schildert, der gerade auf dem Heimweg ein paar Minuten nach 20 Uhr im winterlichen Buenos Aires aus dem Bus steigt. Sichtbar fasziniert ist das Ausstellungspublikum aller Altersgruppen von der Authentizität dieser Schau, die jeder Schulstunde, jedem Buch überlegen ist. Sogar die Garibaldistraße als Ort des Zugriffs kann man auf dem Stadtplan von Buenos Aires suchen. Und kann schließlich vor alten Radios die Rede Ben-Gurions hören, mit der er seinen Landsleuten die Verhaftung Eichmanns bekannt gab. Schließlich lässt sich vor der Nachbildung des gläsernen Kastens, in dem Eichmann während des Prozesses saß, das Verfahren verfolgen und Eichmanns Gnadengesuch nachlesen, ebenso der Bericht über seine Hinrichtung und die Verstreuung seiner Asche über dem Mittelmeer. Zu denken gibt die Zusammenstellung des Echos der damaligen deutschen Presse und geben die Fragen, die auch nach der Hinrichtung Eichmanns geblieben sind, etwa die zögerliche Haltung Deutschlands bei der Verfolgung von Naziverbrechern.

Vorbildlich und mit dem gleichen Bemühen um größtmögliche Authentizität wie die Ausstellung ist ihr Begleitprogramm konzipiert. (Uwe Mitsching)

Information: Bis 30. April. Freier Eintritt unter 18 Jahren. Staatliches Museum Ägyptischer Kunst, Gabelsbergerstraße 35, 80333 München. www.smaek.de und www.how-to-catch-a-nazi.com

 

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