Kultur

Ärztin Ruth Wolff (Alina Rank) möchte, dass die junge Patientin friedlich sterben kann. (Foto: Martin Kaufhold)

10.05.2024

Streit am Sterbebett

Robert Ickes „Die Ärztin“ weckt die Erinnerung an ein Bamberger Schicksal

Alles ist klinisch weiß und recht still. Ab und zu kommt ein Arzt oder eine Ärztin im weißen Kittel vorbei, verschwindet aber wieder durch eine der vielen Türen. Irgendwo in einem Krankenhaus. An der Seite sitzt eine wohl demente Frau meist ruhig auf einem Sofa und bewegt sich kaum, nur manchmal spielt sie mit einem Kissen oder hantiert mit einer Kaffeetasse.

Das Bühnenbild im Bamberger E.T.A. Hoffmann Theater zeigt zu Die Ärztin des international erfolgreichen englischen Autors Robert Icke Räume in einem „Elisabeth-Institut“, einer Art Krankenhausstiftung. Die funktionale Architektur auf der Bühne ist meisterhaft gebaut und eingerichtet, sodass sie Raum schafft für Dialoge.

Manchen Zuschauer*innen ergeht es zuerst vielleicht wie bei Krankenhaus- und Arzt-TV-Serien: Eigentlich möchte man doch mit diesen ganzen Dingen möglichst wenig zu tun haben – und wenn man früher oder später doch dort landet, möchte man so schnell wie möglich wieder raus.

Aber plötzlich wird es turbulent und zieht einen in die Szene: Es wird klar, dass hinter einer Tür in einem Behandlungszimmer ein 14-jähriges Mädchen im Sterben liegt, weil sie ohne medizinischen Beistand eine Abtreibung bei sich selbst vorgenommen hat. Hoher Blutverlust und eine tödliche Sepsis sind die unabweisbare Folge.

Die behandelnde Ärztin steht vor der Tür und verweigert einem katholischen Priester nachdrücklich den Zugang zur Kranken mit der Begründung, das Mädchen könne in den letzten Minuten ihres Lebens noch einen Schock erleiden, der ihr Sterben grausamer gestaltet. Außerdem könne der Mann sich nicht ausweisen und die Religionszugehörigkeit der Patientin sei unbekannt.

Was ist dagegen zu sagen? Eigentlich weiß doch jeder: Der Umgang mit der jungen Patientin, soweit keine Erziehungsberechtigten verfügbar sind und sie sich nicht selbst anderweitig äußert, obliegt der behandelnden Ärztin. Dennoch beginnt eine nicht enden wollende Diskussion, ja ein vehementer, ins Bösartige gehender Streit. Vorwürfe des Rassismus und Antisemitismus stehen im Raum, weil manche Beteiligten dunkelhäutig oder – wie die Ärztin – jüdisch sind, von Frauenfeindlichkeit gar nicht zu reden

Selbst Position beziehen

Unabhängig von den Diskussionsinhalten, und seien sie noch so oberflächlich oder abgegriffen, wird das Publikum zum Hinterfragen eigner Einstellungen angeregt. Das liegt wahrscheinlich an der hervorragenden Schauspielkunst von Alina Rank, Stephan Ullrich, Florian Walter und anderen.

Unmittelbar denkt man bei diesem Thema an die ursprünglich jüdische, dann katholische Frauenärztin Selma Elisabeth Graf, die in Bamberg wirkte und 1942 in Auschwitz ermordet wurde, wegen des Vorwurfs, sie habe Abtreibungen vorgenommen. Im Februar wurde eine Pflegeschule nach ihr benannt. Es stünde dem Deutschen Bundestag nicht schlecht an, auch Selma Elisabeth Grafs Schicksal zu bedenken. (Andreas Reuss)

 

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