Kultur

„Punishment #1“ von Julius von Bismarck trifft auf Quilts der Amish. (Foto: Felix Weinold)

24.07.2020

Subtile Fröhlichkeit

Das Staatliche Textil- und Industriemuseum Augsburg zeigt historische Quilts der Amish im Dialog mit moderner Kunst

Im Staatlichen Textil- und Industriemuseum Augsburg steht ein Mann. Der sieht auf den ersten Blick gemütlich und durchschnittlich aus. Auf den zweiten löst er blitzartig Irritation aus: Er steht sich selbst gegenüber, spiegelbildlich, aber nicht gleich. Denn er hat, als sei er ein Mutant, in beiden Varianten Gliedmaßen zu viel: einen Arm mehr, zwei Beine plus. Was die Tapsigkeit des vollschlanken Glatzkopfs mit Brille unterstreicht und zugleich eine sportliche Betätigung wie in Zeitlupe demonstriert: In die Wahrnehmung werden Fehler eingebaut, eingewebt. Und schon ist man in all der subtilen Fröhlichkeit, die die Doppelskulptur durchaus auch vermittelt, mittendrin in Plan und Wesen der Ausstellung Amish Quilts meet Modern Art.

Der Mann, der sich da selbst in Silikonabgüssen gespiegelt hat, heißt Urs Lüthi, das Kunstwerk nennt sich Spazio Umano (The Enemy). Es unterstreicht ersichtlich eine gewisse Feindseligkeit des Körpers sich selbst gegenüber – und steht schon allein deshalb in mehrfachem Bezug zu den zugleich präsentierten Quilts der Amish aus den Jahren 1890 bis 1959 aus der Münchner Privatsammlung Wurzer. Diese Quilts folgen dem Grundsatz der Amischen, jener eigentlich aus Zentraleuropa stammenden, nun in den USA siedelnden protestantischen Täuferbewegung, nichts Gegenständliches, Körperliches abbilden zu dürfen.

Und so tragen die Quilts zwar symbolische Titel, entziehen sich aber eben jeglicher Körperlichkeit. Und sie haben bewusst Fehler in ihre Struktur eingewebt: weil nur Gott perfekt ist.

So treten die Quilts in diesem Museum in einen permanenten Dialog mit Positionen der modernen Kunst, und dies Station für Station in – zumeist die himmelszentrierte religiöse Haltung und die Niederungen der Gegenwart bezeichnenden – Gegensatzpaaren wie Ordnung und Chaos, Natur und Kultur, Krieg und Frieden. Bei Letzterem beispielsweise trifft der Pazifismus der Amish, versinnbildlicht durch einen Quilt mit dem „Lone Star“, dem Himmelsstern des Friedens, auf Arbeiten wie die Gelbwesten von Beate Passow, auf denen Blumengebinde zu sehen sind, die an Stätten terroristischer Anschläge niedergelegt wurden, oder Resistance von Rose Stach: auf einen Orientteppich projizierte Videoaufnahmen von tumultuösen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten.

Dieses Dialogische zieht sich durch und ermöglicht den Betrachtenden eine ganze Kette von persönlichen Assoziationen. Das Uneitle der Quilts trifft auf das Eitelkeitsmaximum der von Felix Weinold in die Mangel genommenen Vanity Fair, die schönen Teppiche als Lebensgeschenke treffen auf Andrea Büttners minimalistische, gebeugte, verhüllte Bettlerin, das ungegenständliche Gewebe der Textilien trifft auf halluzinogene Farbliniengespinste des Münchner Künstlers Manfred Mayerle (Serie Between), die eine ganz eigene, eigentümliche Tiefe ergeben, eine erstaunliche Mehrdimensionalität.

Diese Auseinandersetzungen Mayerles mit dem Thema Farben, deren Struktur, deren hochenergetische Stimmungsecho-kraft, deren Einschluss der Zeit in ihren durch Tropfungen kenntlich gemachten Entstehungsprozess zeigen Werke wie etwa seine Goldbergvariationen.

Eine Ausstellung, die vieles miteinander verwebt und Schlingen baut für das eigene Gedankengeschlinge im Kopf: Stück für Stück setzt sich da ein Quilt aus Ideen und Eindrücken zusammen. (Christian Muggenthaler)

Abbildung: Urs Lüthi bleibt sich in seinem Silikondouble mit den drei Armen, das sich obendrein spiegelt, selbst fremd.    (Foto: Felix Weinold)

Information: Bis 25. Oktober, Di. bis So. 9-18 Uhr. Staatliches Textil- und Industriemuseum Augsburg (tim), Provinostraße 46, 86153 Augsburg, Di. bis So. 9-18 Uhr.

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