Kultur

Künstlich clean inszeniert: Dieses Foto entstand am 23. April 2012 im Berliner Stadtbad Neukölln. (Foto: Erwin Olaf/Galerie Ron Mandos Amsterdam)

09.07.2021

Synthetische Unbeflecktheit

Das fotografische Werk von Erwin Olaf in der Kunsthalle München kokettiert mit einer Kunst, die aussieht wie Kitsch

Vermeer, Caravaggio, Edward Hopper, Caspar David Friedrich – das sind nur einige der großen Maler, die einem sofort in den Sinn kommen vor Erwin Olafs Bildern. Ganz bewusst wirken die Fotos, die dieser „Ritter des Ordens vom Niederländischen Löwen“ macht, oft wie Zitate der (alten) Meister, wie ostentative „Fälschungen“ mit den Mitteln der Fotografie. Aber ach, alles Vollkommene droht, in Kitsch umzuschlagen. Wenn Brüche und Widersprüche fehlen, Schrunden und Flecken, dann kann irgendetwas nicht stimmen. Wo etwas zu perfekt und im Wortsinn zu „heil“ ist, da lauert die heile Welt, was nichts anderes bedeutet als die Lüge des schönen Scheines.

Spätestens seit der Postmoderne haben Künstler*innen aber mit diesem Kitschmechanismus bewusst gespielt – Jeff Koons ist nur das prominenteste, knalligste Beispiel. Und genau das tut auch Erwin Olaf (1959 geboren). Dass der holländische Fotokünstler dabei deutlich subtiler vorgeht als Koons, dürfte erklären, warum seine Arbeiten doch reizvoller wirken als die bewusst eindimensionalen Allegorien des Amerikaners. Aber es mag auch der Grund dafür sein, dass Olaf außerhalb seines Heimatlands, wo er ein Star ist und sogar mit den offiziellen Staatsporträts der königlichen Familie beauftragt wurde, noch nicht der ganz große Durchbruch gelang. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung könnte dank der Kunsthalle München getan sein: Sie zeigt unter dem Titel Unheimlich schön eine beeindruckende Überblicksschau zum Werk Erwin Olafs.

Porentief präzise

Anders als sonst bei Fotografien, entfaltet sich die volle Wirkung seiner Porträts, Akte, Interieurs und Landschaften erst, wenn man vor den großformatigen Originalen steht. Denn da ist alles so porentief präzise, so überwirklich artifiziell, dass viele Werke weniger wie Fotografien, sondern wie fotorealistische Malerei oder Gemälde aus der Zeit der Neuen Sachlichkeit wirken.

Aber in ihrer synthetischen Unbeflecktheit haben sie eben etwas derart Steriles an sich, dass einem ihre übertrieben vollkommene Schönheit sofort verdächtig, ja tatsächlich unheimlich werden muss. Alles ist bis ins kleinste Detail perfekt durchgestylt. Vor allem aber sorgt eine ungeheuer ausgeklügelte, die Lichtvaleurs verschiedener Epochen imitierende Beleuchtung für Stimmungseffekte, die uns geradezu manipulativ anspringen.

So entsteht – wie in der Werbung – weniger ein Bild als vielmehr ein Image, also ein Muster oder ein Abklatsch von Vorstellungen, die wir in uns tragen oder zu tragen vermeinen: eine Schimäre aus Archetyp und Vorurteil.

Dass Olaf auf der Ebene der Sujets Irritationen erzeugt, indem er hier auch das Abwegige, Ungewöhnliche ins Spiel bringt, müsste aber nun doch eigentlich für eben jene Brüche sorgen, die jede Kitsch-Anmutung verhindern. Doch seltsamerweise geschieht gerade das nicht, denn die schrägen Motive entpuppen sich als bloße Simulation ihrer selbst: Die Bilder blutbespritzter Supermodels oder nackter Greisinnen mit Cellulite sind ihrerseits so überdeutlich perfekt inszeniert, so künstlich und clean, dass sie als polierte Zitate der Devianz erkennbar werden, wie sie uns aus Hollywood und der Werbung vertraut sind.

Weil die Hochglanzversion des Regelbruchs eben keiner mehr ist, spiegeln Olafs Arbeiten gekonnt die Heuchelei einer neoliberalen Toleranzfolklore, die der akkreditierten Normabweichung aus Marketinggründen bedarf.

Da passt es gut „ins Bild“, dass der Künstler auch für luxuriöse Werbekampagnen fotografiert hat. Und der deutlich narrative Charakter seiner Inszenierungen, die oft wie Filmstills wirken, weist ebenfalls auf diese Bezüge zur Kulturindustrie hin.

Kitsch? Nein, sondern Kunst, die absichtlich wie Kitsch aussieht, der wie Kunst aussehen möchte.
(Alexander Altmann)

Bis 26. September. Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstraße 8, 80333 München. Aktuelle Öffnungszeiten unter www.kunsthalle-muc.de

 

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