Kultur

Spacig und clownesk geht es um Begierde und Gewalt. (Foto: Krafft Angerer)

15.10.2021

Theatrales Sextraktat

„Like Lovers Do“ an den Münchner Kammerspielen fügt in einer bunten Show der #MeToo-Debatte einen weiteren Aspekt hinzu

Ein Skandal? Aber woher denn! Das von Pinar Karabulut uraufgeführte Like Lovers Do der Israelin Sivan Ben Yishai wurde in den Münchner Kammerspielen mit anhaltendem Jubel gefeiert. Die Frage ist: aus dem richtigen Grund?

Sivan Ben Yishai, seit 2012 Wahl-Berlinerin, wagt mutig ein durchaus berechtigtes Thema, welches der #MeToo-Debatte einen weiteren Aspekt hinzufügt. Ihr geht es hier nicht um Liebe als einverständige respektvolle Beziehung zwischen zwei Menschen, sondern um den rein sexuellen Akt: den rücksichtslos einseitigen Entladungssex, den gewalttätig erzwungenen, den von (meistens) der Frau ehepflichtig bedienenden und den von selbstbestimmten Partnern, ob Mann oder Frau, eingeforderten Sex.

Die Autorin ist da keineswegs zimperlich in ihrer enormen Auflistung und Beschreibung von sexuellen Praktiken – bis in die Körperöffnungen hinein. Nur zum Beispiel: Mit dem Smartphone wird in die Vagina hineingefilmt und diese von weiblicher Seite als „Müllschacht zwischen den Beinen“ bezeichnet (Maren Kames hat aus dem Englischen übersetzt).

In Sachen Extremformen sexueller Begierde scheint das Jungvolk im Publikum abgehärtet. Wie sonst das immer wieder beifällige Lachen? Oder gilt diese zustimmende Reaktion lediglich den fünf Darsteller*innen, die sich, zugegeben, voll in diese 90 Minuten theatralen Sextraktats reinwerfen? Oder hat nicht doch Regisseurin Karabulut (sie ist auch Mitglied der künstlerischen Leitung im Haus) aus lauter „gschamigem“ Bedenken das heikle Sujet mit viel Clownerei, Musik und Disco Dancing allzu verharmlost – und zwar durchaus publikumswirksam?

Dass man die Akteurinnen und Akteure akustisch meist nur verstehen konnte, wenn sie direkt an der Rampe deklamierten, ist wiederum als Rücksicht auf das Publikum zu deuten. Der Sex-Stoff war üppig, man musste nicht unbedingt alle Varianten mitkriegen.

Die glorreichen Fünf – Gro Swantje Kohlhof, Jelena Kulji(´c), Edith Saldanha, Bekim Latifi und Mehmet Sözer –, von Teresa Vergho gestylt zwischen historischer Commedia dell’arte und wohl künftiger Weltraumfashion, liefern ein body-elastisches Pop-Spektakel. Choreografiert hatte Karabulut selbst. Michela Flücks Bühne: Ein von penisartigen, später schlaff einknickenden Säulen (auf die Idee muss man kommen) gesäumter Rundtempel verweist gelungen auf den Stück-Untertitel „Memoiren der Medusa“.

Abhauen im Spaceship

In Athenes Tempel soll Poseidon es mit Medusa getrieben, sie laut Ovid vergewaltigt haben. Die Gewaltkopulation, so demonstriert hier Karabuluts sichtlich kreatives Team, ist eben schon klassische Geschichte. Und wird, so die Botschaft, in der Zukunft wohl fortdauern. Am Ende düsen die fünf Sexfigurant*innen auf einem Spaceship ab in den Bühnenhimmel.

Was in dieser bunten Show fehlt, sind ein paar ruhige Momente, ein Atemholen für den Ernst der Thematik. Karabuluts Inszenierung ist symptomatisch für die Veränderung des etablierten Theaters: Man wirbt um jüngeres Publikum. Der Spielplan wird vielfältiger, die Erarbeitung der Stücke bekommt weniger Zeit. Auch die Kunst muss sich wohl unserem beschleunigten Lebenstempo anpassen. (Katrin Stegmeier)

 

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