Es gibt Momente, da sehnt man sich nach Mariss Jansons zurück. Wie kein anderer war der 2019 verstorbene Chefdirigent von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BR) ein Garant für wirkungsmächtige Entschlackungen von Partituren. Eine seiner großen Stärken war Peter Tschaikowsky. Statt das Klischee vom russisch-breiten, schicksalhaft schweren Pathos zu bedienen, kam sein Tschaikowsky unerhört schlank daher. Mit fließenden Tempi und leichter, glasklarer Luzidität ist Jansons abseits der gewohnten Trampelpfade gewandelt: ohne hohle Larmoyanz und süßliche Sentimentalität. Niemand hat Tschaikowsky derart durchschaut wie Jansons – das ist bislang unerreicht.
Das offenbart sich einmal mehr bei Tschaikowskys Puschkin-Dreiakter Pique Dame an der Bayerischen Staatsoper. Am Pult des Bayerischen Staatsorchesters hat Aziz Shokhakimov sein Hausdebüt, und das fiel bei der Premiere durchwachsen aus – wie der gesamte Abend. Schon gleich zu Beginn hat der 35-Jährige aus Usbekistan eine klanglich korpulente Kraftmaschine entfesselt, die sich bald abnutzte. Im Laufe der Aufführung wurde sein Dirigat fraglos differenzierter, aber wer die konzertante Aufführung dieser Oper vor knapp zehn Jahren mit Jansons und dem BR im Ohr hatte, musste jetzt viel leiden. Das galt auch für manche Stimmen.
So hatte Brandon Jovanovich als junger Offizier Hermann hörbar Mühe, diese gesanglich tückische Partie konzis auszugestalten. In fast der gesamten ersten Hälfte des Abends wirkte seine Stimme unpässlich. Auch seine darstellerischen Leistungen blieben weit hinter den Erwartungen zurück.
Bei Asmik Grigorian als Lisa war das durchaus anders. Als die Geliebte von Hermann musste sich die Starsopranistin nicht erst einsingen. Einnehmend war ihr Spiel, aber ihr Überdruck im Ausdruck rang der Partie charakterlich kaum eine Tiefenschärfung ab.
Das alles war zu einem Großteil der recht einfältigen, abgegriffenen Regie von Benedict Andrews geschuldet. Aus dem tödlichen Kartenspiel machte er eine Kriminalgeschichte. Die einzelnen Bilder bekamen Titel wie „Love me or kill me“, „Gespenster“, „Die Brücke“ oder „Das Spiel“. Für gefühlte Minuten war die Szene jeweils verhüllt, und geradezu banale Videos der Protagonist*innen wurden projiziert. Auf die Dauer war das ziemlich mühsam und unterbrach jäh den dramaturgischen Fluss.
Der Feinschliff fehlt
Aus dem Freundeskreis um Graf Tomski (präsent: Roman Burdenko), dem auch Hermann angehört, machte der in Island lebende australische Regisseur einen Clan der russischen Mafia. Natürlich dürfen da Prostituierte in Miniröckchen nicht fehlen: schnarch!
Sonst aber hüllt Rufus Didwiszus die Bühne in reduziertes Schwarz. Das könnte einen ereignisreichen Seelenraum eröffnen, aber dafür fehlt es der Regie an psychologischem Feinschliff und exakter Deutung: an Empathie also und auch Hirn. Da fuchtelt Hermann von Anfang an mit seinem Revolver herum, hält ihn sich an den Kopf, bis es alle im Publikum verstanden haben. Dieser Mann ist ziemlich labil, ein Loser eben, wie es ein Zwischentitel formuliert, und überdies hat er etwas Toxisches. Bevor sich Hermann schlussendlich in den Kopf schießt, treibt er noch andere mit in den Abgrund: allen voran Lisa, die sich unglücklich in die kalte Newa stürzt, ebenso deren Großmutter, die Gräfin.
Ein Glücksfall für diese Premiere ist Violeta Urmana. Wie sie die alte Gräfin singt und spielt, ist das ein veritabler Hörkrimi. Es ist ihr zu verdanken, dass aus der Todesszene der Gräfin nicht ein unbeholfener Showdown im Planschbecken wurde. Sie steht glatzköpfig daneben, während ihre gespiegelten Seelen mit Hermann ringen und am Ende in besagtem Planschbecken ertränkt werden. Er will von ihr die glückverheißenden drei Karten wissen, mit denen er das Kartenspiel für sich gewinnen kann und reich wird. Das möchte er, um mit Lisa fliehen zu können. Diese ist nämlich mit Fürst Jelezki liiert, und in dieser Partie ist Boris Pinkhasovich ein weiterer Glücksfall der Premiere. In fast schon belcantoartigem Duktus und feinem Timbre schenkte er dem Abend eine unerhörte Differenzierung.
Ein Fest für die Ohren war zudem der von Christoph Heil einstudierte Chor der Bayerischen Staatsoper. Aber das allein macht den Speck eben nicht fett. Dieser Premierenabend war ziemlich fad. Er war zwar kein Reinfall, aber größtenteils ohne nennenswerten Mehrwert: weder musikalisch noch inszenatorisch. (Marco Frei)
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