Kultur

Wolfgang Pregler als Möchtegern-George und Brigitte Hobmeier als Lisa. (Foto: Münchner Kammerspiele)

23.03.2012

Trash- und Schmuddel-Aroma

Die Münchner Kammerspiele inszenieren Fassbinders "Satansbraten" als überdrehte Retro-Show

Solche Luxus-Probleme hätte man heute gerne, wie sie in den Siebzigern unsere subversiven Jungdichter umtrieben. Rainer Werner Fassbinder zum Beispiel machte sich in seiner wenig bekannten Filmkomödie Satansbraten von 1976 über den angestaubten Geniekult lustig, der noch aus den Gruppe-47-Zeiten herüberwehte und jetzt vom frischen Wind hinweggeblasen werden sollte. Aber instinktiv scheint auch Regisseur Stefan Pucher diesem Satansbraten mit weit überschrittenem Haltbarkeitsdatum nicht ganz getraut zu haben, als er ihn jetzt zum Fassbinder-Gedenkjahr (30. Todestag) auf der Bühne der Münchner Kammerspiele mit Starbesetzung servierte.
Da geht es um einen sexuell etwas hyperaktiven Schriftsteller, der 1968 mit Umstürzler-Gedichten zum Star wurde, aber inzwischen an einer Schreibhemmung leidet. Bis er ein Gedicht Stefan Georges als eigenes ausgibt („guttenbergen“ nennt man diese Technik angeblich heute) und beginnt, sich selbst für George zu halten. Weswegen der Ex-Revoluzzer auch eine – bezahlte – Jüngerschar um seinen Thron versammelt und sich überhaupt als kryptofaschistischer Kleinbürger ersten Ranges entpuppt. Nebenbei bringt er noch eine adelige Verehrerin um die Ecke, so dass ihm ständig ein Kommissar (witzig: Edmund Telgenkämper mit Schlapphut) auf den Pelz rückt.
Wäre diese hölzern zusammengeschusterte Groteske nicht ins Grell-Absurde überdreht (Dürrenmatt und Brecht lassen grüßen), hätte man eine läppische Boulevard-Klamotte vor sich – da hülfe auch das Fassbinder-typische Trash- und Schmuddel-Aroma nichts, das einem reichlich entgegenweht. Darum veranstaltet Pucher klugerweise gleich eine ironische 70er-Jahre-Retro-Show in realistischem Wohnstuben-Ambiente mit Kruzifix und Nietzsche-Bild an der Wand, das deutlich als Kulissen-Set erkennbar ist. Wunderbar etwa das stilechte Bad mit orangefarbenen Fliesen (Bühne: Stéphane Laimé), das von oben herunterschwebt und in dem die großartige Brigitte Hobmeier eine lasziv-verlangsamte Fassbinder-Musen-Parodie hinlegt, die sich buchstäblich gewaschen hat.
Aber die Schauspieler sind ja ohnehin das Ereignis dieses Schlaghosen- und Nickelbrillen-Gedächtnis-Abends, der trotz einiger Längen amüsant gerät: Wolfgang Pregler pendelt als Möchtegern-George mit hoher Frequenz zwischen Egoismus und Irrsinn des größenwahnsinnigen Zwerges, Thomas Schmauser als sein debiler Bruder legt eine Art verängstigte Bedrohlichkeit an den Tag, die umwerfende Annette Paulmann entfaltet ihre subtile Kuller-Komik, und Genija Rykova dekliniert mit genialer Doppelbödigkeit in verschiedenen Rollen alle anfallenden Frauen-Klischees durch. Heftiger Premierenjubel.
(Alexander Altmann)

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