Kultur

Bitterarm, vom politischen Gezerre gebeutelt: "Das arme Land Tirol" nannte Franz Marc sein Bild von 1913 - hier ein Ausschnitt, die komplette Ansicht sehen Sie im Text. (Foto: Salomon R. Guggenheim Foundation)

01.04.2016

Traurige Pferde

Im Mittelpunkt einer Sonderausstellung zum 100. Todestag von Franz Marc steht sein Gemälde „Das arme Land Tirol“

Wegen einer schweren Krankheit lebte Philipp Franck in einem Meraner Sanatorium. Im März 1913 besuchten ihn dort seine Tochter Maria und sein Schwiegersohn Franz Marc. Den Aufenthalt nutzte das bayerische Künstlerpaar zu ausgedehnten Touren in die Südtiroler Bergwelt. Sie schlenderten durch Meran und wanderten im Vinschgau. Marc besichtigte Kirchen und Burgen. Er war begeistert von mittelalterlichen und barocken Wandmalereien. Bestaunte alpenländische Schnitzereien. Zu allen Gelegenheiten zeichnete er in sein Skizzenbuch, machte sich Notizen. Wieder daheim verarbeitete Franz Marc diese Reiseeindrücke. Im April oder Mai 1913 – das genaue Datum lässt sich nicht mehr zurückverfolgen – malte er Das arme Land Tirol. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam dieses, wohl eines der beeindruckendsten Gemälde Franz Marcs in das Solomon R. Guggenheim Museum, New York. Jetzt ist Das arme Land Tirol nach Oberbayern zurückgekehrt: nach Kochel am See, ins Franz-Marc-Museum. Das großformatige Bild ist dort Mittelpunkt einer Sonderausstellung zum 100. Todestag des Künstlers: Franz Marc – Utopie & Apokalypse. "Das arme Land Tirol": Es ist ein trauriges Bild, das Marc von der Südtiroler Hochgebirgslandschaft zeichnet. Schwarz, Grau, gebrochenes Blau, nur in kleinen Feldern sieht man Rot, Gelb und Grün – die strahlende Farbigkeit, die eigentlich Marcs Gemälde prägen, ist verschwunden. Mehr noch: Von Franz Marc sind faszinierende Tierporträts bekannt – nichts davon sieht man in Das arme Land Tirol. Zwar sind am unteren Rand zwei schwarze Pferde zu sehen. Aber es sind nicht die vor Kraft und Energie strotzenden, blauen oder roten Rösser von einst. Diese traurigen Tiere des Frühjahres 1913 sind abgemagert, die Rippen drücken sich durch die Haut. Hat Franz Marc mit Das arme Land Tirol den Ersten Weltkrieg vorausgeahnt? Kann man solche Visionen in dieses Gemälde hineininterpretieren? Eher nicht, meint Museumsleiterin Cathrin Klingsöhr-Leroy: „Das arme Land Tirol spiegelt die verschiedensten Einflüsse.“ Südtirol war damals ein bitterarmes, von politischem Gezerre gebeuteltes Land. Die Not der Menschen wird Maria und Franz Marc nicht verborgen geblieben sein. Klingsöhr-Leroy sieht darüber hinaus literarische Einflüsse, erinnert vor allem an den Text Der Leinwandmesser, in dem Leo Tolstoi die Geschichte eines sterbenden Pferdes erzählte.

Auf der Grenze

Franz Marc erlebte einen politisch und gesellschaftlich zerfallenden Kontinent. Südtirol liegt dabei auf der Grenze zwischen Nord- und Südeuropa – sprachlich, wie geografisch. Steht der österreichisch-ungarische Grenzpfahl, den Marc rechts unten malte, als Symbol dafür? Für was steht dann der Adler mit seinen weit geöffneten Schwingen? Für ein neues, von Kunst und Kultur geprägtes Europa? Das würde einer Diskussion folgen, die Franz Marc schon Jahre zuvor mit Wassily Kandinsky in dem Almanach Der blaue Reiter angestoßen hatte: Es war der Plan, mit Naturwissenschaftlern, Malern, Bildhauern, Musikern, Dichtern, Tänzern und Kunsttheoretikern ein neues Weltbild aufzustellen. (Günter Bitala) Information: Bis 5. Juni. Franz Marc Museum, Franz Marc Park, 82431 Kochel. Di. bis So. 10-18 Uhr.
www.franz-marc-museum.de

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