Kultur

Csilla Csövari als Cunegonde, Alexander Franzen als Cacambo, Juan Carlos Falcón als Governor. (Foto: Thomas Dashuber)

18.12.2015

Umwerfend

Die beste aller möglichen Aufführungen: Gärtnerplatztheater wird für "Candide" frenetisch bejubelt

Die Weltkarte hängt vorn, die Geschichte als Comic an allen anderen Wänden, und die Windrose zeigt, wohin es geht zur "besten aller möglichen Welten". Zur optimalen aller möglichen Aufführungen von Leonard Bernsteins Candide geht es jedenfalls in die Münchner Reithalle. Dort hatte diese von allen Regisseuren gefürchtete und oft genug vergeigte Mischung aus Operette, Musical, großer Oper, Philosophie und Kabarett mit dem Ensemble des Gärtnerplatztheaters ihre frenetisch umjubelte Premiere. Für die Zukunft sind damit alle Einwände gegen eine szenische Produktion nur noch Ausreden. Am besten hat man dann auch so ein Bühnengeviert, um das die Zuschauer auf drei Seiten herumsitzen, ein so bravourös aufspielendes Orchester hinter der Gaze-Weltkarte. Das muss dann wie unter Marco Comin den richtigen Klang für Bernstein finden: für seine Ironie, seine fulminanten Tableaux, für hinreißende Melodien. Und man braucht einen Regisseur wie Adam Cooper, den Intendant Köpplinger in London aufgetan hat und der von sich sagt, er sei Tänzer, Sänger, Schauspieler, Regisseur, weiß Gott was alles noch. Und der das dann in einen Theaterabend umsetzt, bei dem man immer betet, dass ihm die Luft nicht ausgeht. Tut sie in den drei Stunden auch nicht.

Bescheidenes Glück

Chor, Solisten, eine eigens zusammengestellte, vielseitige Tanztruppe: Alles wirbelt in diesem tief gelegten Bühnen-Pit herum, quillt aus sämtlichen Ecken der Reithalle, ist für die rasanten Szenenwechsel schnell wieder verschwunden: als tropischer Urwald, als Pariser Puff-Personal oder als bulgarisch-awarische Soldateska. Voltaire (Alexander Franzen) führt in Allonge-Perücke durch diese überhaupt nicht verzopfte Show und erzählt das Wichtigste aus seinem philosophisch-geografischen Aufklärungs-Roman von der "besten aller möglichen Welten". An die glaubt der junge Candide (dieses reine, unbeschriebene Blatt aus einem Westfalen, das gleich neben den Karpaten liegt) immerzu und unbeirrt - auch wenn diese Welt alles an Scheußlichkeiten und Gemeinheiten über ihm ausschüttet. Bis er schließlich mit der angebeteten Cunegonde ein bescheidenes Glück im venezianischen Gärtchen findet: sehr amerikanisch.

Krause Handlung

Ihre Reise um die halbe Welt in werweißwievielen Jahren ist so unwahrscheinlich wie ein Märchen - und kehrt dorthin auch zurück: in dieser krausen Handlung zwischen Erdbeben, Vergewaltigungen und dem Goldland Eldorado. Wer auch immer niedergemetzelt wird, steht wieder auf ("Verzeih mir, dass ich dich erstochen habe") - und kann als Urwaldaffe oder Großinquisitor die nächste Rolle spielen. Die beste aller möglichen Theaterwelten wäre schier hops gegangen: Aber Josef Köpplinger konnte anstatt der erkrankten Csilla Csövari als Gast von der Komischen Oper Berlin Cornelia Zink als Cunegonde präsentieren. Sie ist ein bisschen mollig und singt schlanke, strahlende Koloraturen, fügt sich nach wenigen Proben in diese Aufführung, bei der jeder Schritt und Witz sitzt.

Toller Candide

Mit balsamischem Tenor und bewundernswertem Piano durchschreitet der Candide von Gideon Poppe unangefochten das menschliche Jammertal. In dem ist die "Old Lady" von Dagmar Hellberg eine würdige Nachfolgerin von Christa Ludwig, vor der Bernstein einst bewundernd in die Knie gegangen war - trotz fehlender Pobacke. Am Ende weiß man nicht, was man mehr bewundern soll: die Leistung der Theaterschneiderei für Hunderte von einfallsreichen Kostümen (Alfred Mayerhofer), den Malersaal unter Bühnenbildner Rainer Sinell oder die Lichtregie von Michael Heidinger, die das Publikum immer wieder einbezieht in diese beste alle möglichen Musical-Welten. 150 Jahre Gärtnerplatztheater: Wer "Candide" sehen und mitfeiern will, muss sich beeilen. Am 3. 1. wirbelt der Goldflitter und Bühnenzauber zum letzten Mal. (Uwe Mitsching) Abbildung:
Alexander Franzen als Pangloss, Gideon Poppe als Candide. (Foto: Thomas Dashuber)

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