Kultur

Von 186 in Akten vermerkten Titeln aus den Buchbeständen der Loge "Zum aufgehenden Licht an der Isar", konnte die Bayerische Staatsbibliothek in ihren Beständen 136 in 121 titeln ausfindig machen. (Foto: Dütsch)

08.11.2013

Unliebsame Geschenke

Die Bayerische Staatsbibliothek sucht verschärft nach NS-Raubgut in ihren Beständen – Jetzt gibt sie Bücher einer Loge zurück

Manche Geschenke darf man nicht behalten. Oder man sollte zumindest nicht. Wenn sie von Nummer 14428 gekommen sind, zum Beispiel. Weil der Schenker die Münchner Gestapo war. Und deren „Geschenke“, die man natürlich nicht ausschlagen durfte, waren zuvor „geraubt“ worden – nicht immer, aber doch oft. Von Juden, die in Konzentrationslager deportiert wurden, oder von jenen, die ihr Hab und Gut gezwungenermaßen „freiwillig“ und weit unter Wert hergaben, nur um aus Deutschland raus zu kommen. Auch bei anderen missliebigen Personen, Gruppierungen und Institutionen langten die Nazis zu, konfiszierten, was ihnen wie auch immer wertvoll, sammlungswürdig erschien – vor allem nach der „Gleichschaltung“ 1933/34. Da gerieten katholische Vereine ebenso ins Visier der Nazis wie die Zeugen Jehovas und die Freimaurer.

Bücher der Freimaurer

„Zum aufgehenden Licht an der Isar“ – der poetische Name sollte sich in sein programmatisches Gegenteil kehren: Die Loge versank im Dunkel. Schon gleich 1933 wurde sie aufgelöst – in der Hauptstadt der Bewegung war man auch dabei sehr eifrig: Vom Reichsinnenminister wurde die Freimaurerei erst 1935 verboten. Logen waren den Nazis besonders suspekt: Heimlichtuerei, humanistisches Weltbild, internationale Verbindungen... Bücher der Loge „Zum aufgehenden Licht an der Isar“ kamen in die Bayerische Staatsbibliothek (BSB) über einen Liquidator und gegen eine Rechnung über 65 Reichsmark. Der Schriftverkehr mit ihm ist erhalten und half nun, von 186 genannten Titeln 136 in 121 Bänden in den BSB-Beständen ausfindig zu machen. Am heutigen Freitag werden sie zurückgegeben. Allerdings gibt es die Loge „Zum aufgehenden Licht an der Isar“ nicht mehr. Stellvertretend nimmt Klaus Kastin die Bücher in Empfang; er gehört dem Senat der Vereinigten Großlogen Deutschlands an und ist Alt-Distriktmeister für Bayern und Sachsen. Die Bände werden künftig wohl im Deutschen Freimaurermuseum in Bayreuth der Öffentlichkeit zugänglich sein.
Die Bayerische Staatsbibliothek hat noch mehr Bücher von Freimaurerlogen. Ein ganzer Schwung kam zum Beispiel durch ein Tauschgeschäft nach München: Mitte der Dreißigerjahre „erbat“ sich der Leiter der SS-Schule auf der westfälischen Wewelsburg Buchdoubletten auch von der Bayerischen Staatsbibliothek. Deren Leiter wollte aber nichts verschenken. Ihm wurden beschlagnahmte Bibliotheksbestände von deutschen und österreichischen Logen überlassen.
Weiteres „arisiertes Bibliotheksgut“, so der NS-Terminus, kam nach dem Zweiten Weltkrieg und durch Überlassung der US-Militärkräfte nach München. Es stammte aus ehemaligen NS-Ordensburgen wie jener in Sonthofen ebenso wie aus dem Hauptarchiv der NSDAP und anderen Institutionen des Regimes. Freilich war nicht alles, was von dort kam „NS-Raubgut“ – aus Sonthofen beispielsweise wurden insgesamt 30 000 Bände überstellt.
Die Identifizierung von Raubgut ist schwierig. Einiges, wie zum Beispiel aus den Thomas-Mann-Beständen war insofern einfach zuzuordnen, weil der Nobelpreisträger selbst seine Bücher zurückhaben wollte, allerdings kam die Übergabe nicht zustande. Dann geriet die Sache in Vergessenheit, die Bücher wurden in den Bestand aufgenommen. Erst um das Jahr 2006 führte ein Hinweis des Thomas-Mann-Archivs in Zürich zurück auf diese Spur. Inzwischen wurden Bände dorthin abgegeben.
Als das von der amerikanischen Militärregierung erlassene Rückerstattungsgesetz 1953 endete, geriet das Thema Rückerstattung von Bibliotheksgut generell nahezu in Vergessenheit. Erst die Rechtslage nach der deutschen Wiedervereinigung und neu gestellte Ansprüche wiederbelebten das Problem. 1999, ein Jahr nach einem internationalen Abkommen, formulierten Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände ein Übereinkommen, wonach die Recherche nach NS-Raubgut, speziell aus jüdischem Besitz, eine fortwährende Aufgabe für die öffentlichen Einrichtungen sei. Allerdings eine freiwillige – anders als zum Beispiel in Österreich.

Verdächtige Bände

2003 begann die Bayerische Staatsbibliothek damit – Auftakt war die Veranstaltungsreihe „München arisiert“, an der sich die BSB mit einer Ausstellung beteiligte. Das Projekt wurde jedoch „auf kleiner Flamme“ betrieben, sagt Stephan Kellner, der aus persönlichem Interesse und als Bavarica-Referent der Ansprechpartner für das Thema in der BSB wurde. Im „Ehrenamt und Nebenamt“, definiert er – vor allem kümmerte er sich um eine Gruppe von „Volunteers“: Sechs freiwillige Helfer nahmen in den vergangenen zehn Jahren über 60 000 Bücher in die Hände und durchsuchten sie nach Spuren, die auf NS-Raubgut hindeuten könnten.
Warum „nur“ 60 000 der insgesamt rund 10 Millionen Bände im BSB-Bestand? Stephan Kellner erklärt das mit dem Wechsel in der Ordnungssystematik: Bis 1935 wurden in der Staatsbibliothek Neueingänge in Fächern nach Inhalten eingearbeitet – in den Gesamtbestand von damals etwa zwei Millionen Bänden. Dann änderte sich das Verfahren: Fortan wurde nach Jahr des Zugangs sortiert. Allerdings verbrannten im Krieg die Eingangslisten gerade aus der NS-Zeit. Also mussten nun die Bände – eben über 60 000 bis 1945 – einzeln in die Hand genommen werden.
Gut 600 Bände gelten nun als „verdächtig“. Erleichtert wird die Identifizierung als NS-Raubgut, wenn auf einer der vorderen Buchseiten „Gn“ plus eine Ziffer mit Bleistift notiert ist. Das war der Vermerk, dass es sich um ein Geschenk handelt; die Ziffer verriet den Geber: 14429 für das NS Fliegerkorps Berlin, 14436 für die Staatslehranstalt für Lichtbild in München, 14437 für „E. Wichert“ von der Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der Sippe, 14438 für die Confederazione Fascista die Industriali in Rom ... Erhalten ist ein „Schenkerbuch“: Darin sind handschriftlich in Tabellen Namen und entsprechend zugeteilte Kennziffern aufgelistet – allerdings nicht, was in der BSB abgegeben wurde. Dann müssen andere Quellen hinzugezogen werden.
Rein durch Quellenstudium ist man ebenfalls auf Raubgut gestoßen: Bei Durchsicht des Erwerbungsbuches fielen Einträge auf, wonach der Historiker und Orientalist Karl Süßheim (1878 bis 1947) der BSB zwei Handschriften (unter anderem eine frühneuzeitliche Nürnberg-Chronik) zu einem Spottpreis überlassen hat. Süßheim konnte nach Istanbul fliehen. Die BSB sucht jetzt nach Nachfahren. In diesem Fall ging die Identifizierung der Handschriften durch den Hinweis in den Akten recht schnell. „Was aber, wenn da nur steht, dass der Soldat ,xy’ eine Esther-Rolle abgegeben hat? Wir haben viele davon in unserem Judaica-Bestand, wie sollen wir da die einstmals gestohlene ausmachen?“, umreißt Stephan Kellner das Problem.

Biografien recherchieren

Wenn in den Buch-Zugängen der Jahre 1935 bis 1945 „Schenkungsvermerke“ fehlen, dann haben die freiwilligen Helfer nach anderen Eintragungen gesucht, die Hinweise auf die „Biografie“ des Werkes geben könnten: Stempel früherer Besitzer, handschriftliche Widmungen, Ex Libris. Eine aufwändige Fahndungsarbeit, die Ergebnisse sind sorgsam in Tabellen vermerkt. Dort kleben nun unzählige „Postits“ – die Provenienzforschung bis hin zur Klärung von Besitzansprüchen und Ausfindigmachen von Erbberechtigten, bis das Raubgut mit dem Stempel „Ausgeschieden aus der Bayerischen Staatsbibliothek“ versehen, übergeben werden kann, ist noch lange nicht abgeschlossen. Wenn man bei der Recherche Raubgut eindeutig identifizieren kann, nicht aber den einstigen Besitzer, dann stellt die BSB dieses Werk künftig in die Datenbank „Lost Art“ (www.lostart.de).
Aber das alles ist nicht mehr Sache von Volunteers. Die BSB hat Verstärkung bekommen: Seit 1. Juni kümmert sich Susanne Wanninger intensiv darum – sie hat über die Bayerische Staatsbibliothek im Dritten Reich promoviert, ist schon von daher besonders sensibilisiert für das Thema. Ihre halbe Stelle wird ein Jahr lang von der „Arbeitstelle für Provenienzrecherche und Provenienzforschung am Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin“ (vom Bundes-Kulturministerium getragen) gefördert. Abgeschlossen sein wird die Sisyphusarbeit dann sicher nicht. Der Freistaat fördert bislang nur die Provenienzforschung in den Staatsgemäldesammlungen mit einer hauptamtlichen Stelle, eine befristete soll – mit Unterstützung privater Mittel – demnächst hinzu kommen.

Digitalisate bleiben

In der Bayerischen Staatsbibliothek stehen weitere Übergaben an, kündigt Generaldirektor Rolf Griebel an. Da sind zum Beispiel 252 Bände von Geca Kon in Belgrad, der einer der bedeutendsten Verlagsbuchhändler Südosteuropas war. Sein Lager wurde 1942 „geplündert“ – von jedem Titel wurden fünf Exemplare behalten und auf große Bibliotheken, wie eben die Bayerische Staatsbibliothek, verteilt. Geca Kon wurde 1941 ermordet. Die Suche nach Erben ging ins Leere. In Abstimmung mit der Jewish Clains Conference wird die BSB ihren Bestand aus dem Verlag der Nationalbibliothek Serbiens übergeben – wie dies zum Beispiel auch schon die Universitätsbibliothek Leipzig mit annähernd 800 Bänden getan hat.
Noch ein Konvolut stünde zur Übergabe bereit: Die BSB hat Bücher des „Vereins katholischer Religionslehrer an den höheren Lehranstalten Bayerns“ entdeckt, die 1938 durch Überweisung vom Kultusministerium zu ihr gelangten. Allerdings ist noch nicht klar, ob die Rechtsnachfolger diese Bücher überhaupt möchten. „Dann bleiben sie natürlich bei uns, aber extra gekennzeichnet“, sagt Stephan Kellner.
Was die BSB zurückgibt, bleibt meist virtuell in ihrem Bestand erhalten: Mit Erlaubnis der Besitzer wird jedes Werk als Digitalisat bereit gestellt. Ohnehin verzeichnet die BSB in den OPAC-Metadaten die „Biografie“ des jeweiligen Werkes, wer die Besitzer waren und ob es sich um NS-Raubgut handelt. (Karin Dütsch)
Am heutigen Freitag wird eine neue Plattform zum Thema NS-Raubgut freigeschaltet: http://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/ns-raubgut Abbildungen (alle: Dütsch) Wer der Bayerischen Staatsbibliothek etwas schenkte, bekam eine Codenummer, die in einem „Schenkerbuch“ registriert wurde. Mit Bleistift wurde sie auch in dem Werk notiert. Fehlt ein solcher Eintrag, geht man anderen Hinweisen auf frühere Besitzer nach: Widmungen, Stempel, Ex Libris.

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