Kultur

Hochspektakulär turnt das Ensemble durch ein Netz. (Foto: Marie-Laure Briane)

14.06.2019

Utopie vom harmonischen Zusammenleben

Uraufführung von Karl Schreiners „Atlantis“-Ballett: Vor allem die Solo-Passagen begeistern

Noch immer ist das Rätsel um den versunkenen Inselstaat Atlantis nicht gelöst. Existierte diese angeblich gefährlich expansionistische Seemacht tatsächlich, oder diente sie dem griechischen Philosophen Platon (428 bis 348 v. Chr.) als Negativbeispiel gegenüber einem von ihm gepriesenen selbstgenügsamen Athen? Atlantis – ein Mythos, der immer wieder die Forschung beschäftigte und Künstler zu neuen, auch romantisch verklärenden Deutungen inspirierte.

Gerade wurde das zweiaktige Atlantis von Tanzchef Karl Schreiner im Münchner Gärtnerplatztheater uraufgeführt: ein Haus, das zwar seit über 20 Jahren ein rein zeitgenössisches Tanzensemble führt, dessen Publikum dennoch herkömmlich erzählenden Tanz vorzieht. Auch diesmal beugte sich Karl Schreiner dieser Vorliebe. Ohne vorherzusehen, dass sich aus diesem Sujet – auch wenn als „Expeditionsballett“ Spannung verheißend – schwerlich eine packende Story ergeben kann.

Zunächst sind die in klinisch weißen Labor-Outfits steckenden Tänzer gefügige Wissenschafts-Werker, ferngesteuert von ihrem Boss in der Schaltzentrale. Sie funktionieren in einem kantigen Roboter-Vokabular, mal in kleineren körperlich eng verhakten Gruppen, mal militärisch aufgereiht. Auf einem Schlauchboot stechen sie in See, landen in Atlantis – hier ist es ein Ort frei von Drill und Norm, wo die Menschen in Harmonie zusammenleben.

Glückliche Naturkinder

Als Gegenentwurf zum Silicon- Valley-Räderwerk erlaubt diese Atlantis-Utopie eigenwillig frei fließende Bewegung – ein Idiom, worin seine Tänzer schlafwandlerisch sicher sind. Versklavte Arbeitsmasse Mensch hier, glückliche Naturkinder da – das ist eine klare Gliederung, optisch gestützt von imposanten Bühnenbildern (Julia Müer, Heiko Pfützner).

Im Mini-Metropolis von Akt I dreht, hebt und senkt sich der Boden. Hoch im Bühnenhimmel ist ein weibliches Versuchsobjekt in einem gläsernen Käfig ausgestellt. Als einer der Wissenschaftler die Frau in einer menschlichen Anwandlung befreit, entwickelt sich zwischen ihnen eine behutsame Beziehung. Isabella Pirondi geht mit wie aufgelösten Gliedmaßen weich hinein in diesen Pas de deux mit Luca Seixas. Mit Seixas’ späterem elegischen Solo in Akt II – deutbar als ein dankbares Abschiednehmen von diesem friedlichen Atlantis – sind es insgesamt zwei solistische Passagen, die in Erinnerung bleiben.

Es ist, zugegeben, hochspektakulär, wie die Tänzer das quer über die Bühne gespannte „Atlantis-Netz“ beklettern, darauf schwankend stehen und kopfunter hängen. Aber auf der Tanzfläche selbst bieten auch die Seefahrt und der Atlantis-Akt vorwiegend Choreografie kleiner und großer Gruppen. Es gibt also keine individuellen Geschichten, sondern lediglich zwei gegensätzliche Gesellschaftsbilder. Von der Idee her ist das sauber gemacht, vermag aber in seiner jeweiligen choreografischen Gleichförmigkeit nicht durchgehend zu fesseln.

Eine gute Hand hatten Schreiner und sein einfühlsamer Dirigent Michael Brandstätter mit ihrer feinen Collage aus Stücken sechs zeitgenössischer Komponisten, die eine Klangkulisse zwischen Sci-Fi und Zauberromantik schafft. (Katrin Stegmeier)

Abbildung:
Im Ballett „Atlantis“ gibt es wenige individuell getanzte Geschichten. Umso mehr bleibt das Pas de deux von Luca Seixas und Isabella Pirondi in Erinnerung. (Foto: Marie-Laure Briane)   

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