Kultur

Das "Buch Jesaja mit Kommentar" war mit hoher Wahrscheinlichkeit eine der Buchstiftungen Heinrichs II. für den Bamberger Dom. Die Pergamenthandschrift entstand um 1000 auf der Reichenau. Die Staatsbibliothek entleiht die Handschrift nun für die Münchner Ausstellung. Die weiteren Fotos im Artikel zeigen (Ausschnitte): Die Bamberger Apokalypse, das Sakramentar Heinrichs II. sowie das Evangeliar Ottos III. (Fotos: Raab, BSB)

12.10.2012

Verführerische Zeitreise

Bayerische Staatsbibliothek präsentiert in der Hypo Kunsthalle 75 prachtvolle Handschriften

Man stelle sich einen Zeitreisenden vor, keinen gewöhnlichen „kleinen Mann“, sondern mindestens einen Bischof. Und der wird aus seinem kontemplativen Wandel in einem Kreuzgang entführt und in die Münchner Hypo Kunsthalle des Jahres 2012 versetzt. Die Augen würden ihm übergehen – mindestens! Würde er sich nicht gar niederwerfen und das, wessen er dort ansichtig sein dürfte, gar als Fingerzeig des Himmels deuten? Welch mächtiger Herrscher müsste über diesem Ort walten, dass er solche Fülle von geradezu göttlichen Schätzen besitzt?
Da, das Purpurevangeliar! Wie Gold und Silber vor sattem Dunkelrot schimmern! Waren da nicht byzantinische Meister für den legendären Kaiser Karl den Großen am Werk? Und dort das Evangeliar Ottos III. – oder hatte es nicht erst sein Nachfolger Heinrich II. auf der Reichenau in Auftrag gegeben? Diese Malerei! Und dann erst der Einband! Lauter Edelsteine, Elfenbein und Gold. All diese Drachen, Engel, Heiligen! Und wie das alles fein umrankt ist ... Ach, einmal Mäuschen sein und im Reichenauer Skriptorium den Klosterbrüdern zusehen dürfen! Wie sie zum Beispiel an einem ihrer Hauptwerke arbeiteten, der riesigen Bamberger Apokalypse. Auch wenn es sehr viel kleiner ist: Das Gebetbuch der Hildegard von Bingen mit all den leuchtend-farbigen Illustrationen gebietet doch nicht minder, dass man sich mit Augen und Geist ehrfürchtig darin versenkt ...
Eine wundersame Wandlung mag mit dem Zeitreisenden geschehen: Er ist nicht mehr der Bischof, der aus dem Mittelalter einen Ausflug ins Jahr 2012 gemacht hat – jetzt ist es ein heutiger Besucher der Hypo Kunsthalle, der sich angesichts dieser Fülle von Prachtstücken wie ein heimlicher Gast in einer Schatzkammer vor 1000 Jahren vorkommt – einem virtuellen Ort freilich. Denn Tatsache ist, dass eine solche Anzahl von außerordentlich „reichen“ Handschriften, wie sie ab dem 19. Oktober in München ausgestellt sein werden, die Menschen im Mittelalter nie zu Gesicht bekommen haben: 75 Exponate wird die Schau Pracht auf Pergament haben. Früher wurden nur zu besonderen Hochfesten oder bei Prozessionen, und dann auch oft nur einzeln solche Bände Heiltümern gleich zur Schau gestellt – selbst noch im 18. Jahrhundert drappierte man anlässlich der Bischofsweihe Franz Ludwig von Erthals im Bamberger Dom „lediglich“ sechs wertvolle Evangeliare auf den Festaltar (siehe die BSZ-Beilage Unser Bayern, Mai 2012).
In der Regel waren diese kostbar illuminierten Handschriften nur für die Augen der Allerhochwohlgeborenen bestimmt, gehörten sozusagen zum Staatsschatz – vor allem aber waren sie symbolträchtige Objekte der Legitimation: „Sie stehen für die von Gott erlaubte Macht auf Erden“, formuliert es Roger Diederen, einer der Ausstellungskuratoren und künftiger Chef der Hypo Kunsthalle.

Göttlicher Krönungsakt

Entsprechend herausragend und aufwändig gestaltet sind deshalb gerade die Herrscherbildnisse. Im Sakramentar Heinrichs II. (vor 1014 in Regensburg entstanden) sieht man, wie Christus selbst die Krönung Heinrichs vollzieht, Engel reichen Schwert und Lanze, die Heiligen Ulrich und Emmeram scheinen den weltlichen Herrscher zu stützen. Im Perikopenbuch Heinrichs II. ist in diesen göttlichen Krönungsakt auch seine Ehefrau Kunigunde einbezogen, hier begleiten Petrus und Paulus, die Patrone Bambergs, die Zeremonie.
Solche Bilder aus dem Innern der Handschriftenblätter konnte zu Heinrichs Wirkungszeit nur ein absolut erlesener Personenkreis betrachten: „Dass sie verschlossen sind, ist dem Wesen der meisten dieser Bände immanent“, sagt Josef Kirmeier, der Leiter des Museumspädagogischen Zentrums in München, den solche Handschriften vor allem auch als soziologische Zeugnisse, als Beispiele für arbeitsteiliges Schaffen interessieren: Das Thema bereitet das MPZ in „Schreibwerkstätten“ für Schüler und Lehrer auf, auch jetzt begleitend zur Hypo-Ausstellung.

Digital durchstöbern

Heute sind viele dieser Herrscherbilder ebenso wie manches biblische Bildmotiv vielen bekannt: Kaum ein Geschichts- oder Religionsbuch, das damit nicht die Symbiose von göttlicher und weltlicher Herrschaft im christlichen Abendland augenfällig machte. Die Staatsbibliotheken in München und Bamberg arrangieren zudem in ihren „Schatzkammer“-Räumen oft Ausstellungen zu einzelnen dieser Handschriften. Elektronische Publikationswege haben dazu geführt, dass aus diesem einstigen Arkanwissen zwischen oft unschätzbar wertvollen Einbänden ein Allgemeinwissen wurde, das jedermann zu jederzeit (meist kostenlos) durchstöbern kann: Zuhause am PC, in Ausstellungen oder wie im Eingangsbereich der Staatsbibliothek Bamberg an Bildschirmterminals.
„Durch die Digitalisate können wir unsere Buchschätze in einer Breite zeigen, wovon wir früher nur hätten träumen können“, begeistert sich Claudia Fabian, die Leiterin der Abteilung Handschriften und Alte Drucke in der Bayerischen Staatsbibliothek.
Nicht, dass soziale Hierarchien die „Benutzbarkeit“ auch noch nach 1000 Jahren verhindern würden: Dass die Handschriften heute in Tresoren ruhen, diktieren sie selbst: Nicht auszudenken, wenn unzählige Hände über die mit Purpur und Gold bedeckten Seiten tasten, sie hin- und herblättern würden, wenn Bibliothekare die schweren Bände durch winterlich-feuchte Flure oder in sommerlich-überhitzte Lesesäle karren würden. Nein, die moralische Verpflichtung, diese „Kronjuwelen“ des kulturellen Erbes zu erhalten, gebietet den höchstmöglichen Schutz. „Inzwischen sind die Kenntnisse, was ihre konservatorischen Bedürfnisse angeht, sehr gut“, sagt Claudia Fabian. „Man weiß im Mikrobereich, was passieren kann. Heute würde man nicht einmal mehr die Ausstellungspraxis noch von vor 20 Jahren befürworten können.“
Das heißt rigoros: Hände weg! Man muss die fragilen Schätze unberührt lassen – unter optimalen konservatorischen Bedingungen (Klima, Raumfeuchte, Licht). Ein paar Zugeständnisse von Zeit zu Zeit sind möglich: Dann werden einzelne Bände oder Blätter für kurze Zeit ausgestellt. Weil aber der  Transport eine der größten Gefahren für die Werke bedeutet (schon leichteste Erschütterungen können zur Lockerung oder gar Ablösung hauchdünner Malschichten führen), verlassen manche Schriften nie ihren Aufbewahrungsort. So sind 25 der 75 Exponate in der Hypo Kunsthalle noch nie gezeigt worden bzw. haben noch die Staatsbibliothek an der Ludwigstraße verlassen. Vom internationaler „Tauschhandel“ der Ausstellungshäuser sind alle 75 Exponate ohnehin ausgenommen. Selbst der Wunsch, zum Bamberger Domweihejubiläum Bände ins „fränkische Rom“ auszuleihen, die früher einmal zum dortigen Domschatz gehörten, musste abgeschlagen werden.
Aber warum gibt nun die Staatsbibliothek Bamberg ihrerseits grünes Licht für drei Prachthandschriften (zwei davon auf der UNESCO-Welterbeliste) und bringt sie nach München – die einzigen „Leihgaben“ in dieser Ausstellung? „Wir haben ihren Zustand natürlich penibel untersucht. Und es zeigt sich, dass diese Bände noch so stabil sind, dass sie diese Reise vertragen werden“, versichert Stabichef Werner Taegert.
Auch die Experten der Bayerische Staatsbibliothek in München haben erst jeden ihrer „Zöglinge“ untersucht, ob man ihm selbst die nur wenige Hundert Meter lange Übersiedelung in die Theatinerstraße zumuten kann. Es wird ein Hochsicherheitstransport in jeglicher Hinsicht – aber in den Schauräumen der Hypo Kunsthalle erwarten sie geradezu paradiesische Zustände: „Jedes Exponat bekommt da eine eigene Vitrine, die ganz individuell auf die Bedürfnisse des einzelnen Werkes abgestimmt werden kann“, schwärmt Claudia Fabian, „was das die Hypo kostet, treibt mir fast die Tränen in die Augen. Das übersteigt bei weitem den jährlichen Ansatz, den wir hier für Ausstellungen zur Verfügung haben oder auch für den Ankauf im Bereich Handschriften und Alte Drucke.“ Nie hätte die Bibliothek von der Infrastruktur und vom Etat her eine solche Präsentation bewerkstelligen können.
„Es ist eine sehr teure Ausstellung“, bestätigt Kooperationspartner Roger Diederen – im doppelten Wortsinn. Über Versicherungssummen spricht er nicht, und von den Anforderungen an die Ausstellungsarchitektur mit den komplexen Vorschriften für Materialien ohne ausdünstende Schadstoffe nur im Sinne einer nichtalltäglichen Herausforderung – vielmehr aber wirbt der Kurator dafür, wie „teuer“ ihm die Ausstellung im ideellen Sinn ist: „Das sind äußerste Raritäten. Man muss sich vergegenwärtigen, dass neben Wandmalereien und Skulpturen diese Handschriften optimal vom Schaffen der Menschen jener Zeit zeugen, sie sind besondere Türen zu jener Epoche.“
Türen, die nicht nach Belieben geöffnet werden können: Viele der Exponate müssen nach dieser Präsentation vielleicht wieder auf 20 oder 30 Jahre in den Schutz der Tresorräume zurück.

Einzigartige Gesamtschau

Werden Besucher der Ausstellung vor verschlossenen Türen der Kunsthalle stehen, wenn der Andrang zu groß ist? Roger Diederen lacht: „Dieses Luxusproblem nehmen wir gerne in Kauf! Wir sind natürlich der ideale Ausstellungsort für solch große Themen, ich möchte fast sagen, wenn wir es nicht machen, macht es keiner. Aber trotzdem haben wir mit der Präsentation von Handschriften noch keine Erfahrung. Freilich kann man keinen Blockbuster nach dem anderen machen, ich denke aber, dass die Leute begreifen, welch einmalige Besonderheit sich ihnen hier bietet.“
Werden den Besuchern in der Hypo Kunsthalle die Augen übergehen – werden sie angesichts dieser Fülle von Superlativen nicht regelrecht erschlagen, noch dazu, weil es primär um die Illustrationen der Handschriften geht? „Nein, das wollen wir“, sagt Roger Diederen und verspricht eine dezente Ausstellungsarchitektur vor Dunkelrot, die jedes einzelne Exponat zelebriert – und, vom Original soll auch kein flimmernder Bildschirm ablenken.
„Zuviel des Guten kann es nicht geben“, winkt Claudia Fabian ab: „Wir können sonst nur partielle Schlaglichter zeigen. Noch nie hatten wir die Möglichkeit, die Entwicklung der Buchmalerei von der karolingischen über die ottonische bis zur romanischen in einer solchen Breite zu präsentieren. Das bietet die Möglichkeit, ganz neue Zusammenhänge zu erkennen.“ (Karin Dütsch) Vom Reiz des "Dritten Mediums“ „Mittelalter“ ist ein Label geworden, das zuhauf an „Events“, Filmen, Musik, Büchern und Spielen klebt. Mittelalterspiele, Marketendereien, die „Community“ zieht kostümiert übers Land, im Schlepptau Bands, die in rüden Rhythmen allerlei Trommeln und Schalmeien traktieren ... Autoren dichten auf mehreren hundert Seiten dicke „Schinken“ über Herrscher und Volk. Eher selten schimmert durch, dass es auch ein Zeitalter der Angst, der permanenten Existenzbedrohung von vielen Seiten war.
Was fasziniert heute an dieser Epoche? Und zwar nicht nur Romantiker (wie schon im 19. Jahrhundert) und Esoteriker, sondern auch gestandene Wissenschaftler, die sich auf diese Ausstellung in der Hypo Kunsthalle besonders freuen? „Wissen Sie“, sagt Jan-Dirk Müller, emeritierten Professor für deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters an der Ludwig-Maximilians-Universität München, „früher hat man als Forscher solche Bände wirklich noch in den Lesesaal bekommen. Heute kriegen auch wir nur noch in Ausnahmefällen diese Originale zu Gesicht.“ Klar, es gibt Faksimiles und Digitalisate – aber das ist eben nicht das selbe. Wissenschaftlich wird das mit den noch relativ neue Trend hin zur „Material Philology“ beschrieben: Es geht eben nicht nur um den Text, sondern, gerade bei einer Handschrift, auch um die Einheit mit dem Informationsträger. Müller schwärmt davon, wie es ist, wenn man sozusagen von Angesicht zu Angesicht beobachten kann, wie der Text „inszeniert“ ist, was gerade bei einer Handschrift große Aussagekraft hat.
Auch der Kulturwissenschaftler Norbert H. Ott begeistert sich für das Studium der Originale: „Da gibt es Pergament, bei dem Sie nicht feststellen können, welche Seite die Haut- und welche die Fellseite ist, so perfekt war das Beschreibmaterial hergestellt. Das sagt doch schon viel über das Anspruchsniveau der entsprechenden Auftraggeber und Macher aus.“
Ott ist Experte für die literarische Bildkunst im Mittelalter. Warum das Mittelalter nicht nur die Wissenschaftler als „wahnsinnig aktuell“ reizt, erklärt er mit einem Vergleich: So wie damals Text und Bild in der medialen Vermittlung gleichberechtigt nebeneinander standen, in ihrer Symbiose quasi als „drittes Medium“ – „ja, ist das nicht genauso wie heute im Zeitalter der Intermedialität?“ Erst später, sagt Ott, habe das Wort die Deutungshoheit übernommen, wurde das Bild zunehmend nur der schmucke Begleiter.
Auch für Jan-Dirk Müller lautet eine der Erklärungen für das Schlangestehen vor Handschriften des Mittelalters: Medienrevolution! Es sei bezeichnend, dass man sich heute, wo diese Manuskripte durch elektronische Medien auf einmal verfügbar sind, genauso fürs Mittelalter interessiere wie es der Zeitgeist um 1500 tat: Damals stand die Medienrevolution im Zeichen des Buchdrucks: „Plötzlich war eine Handschrift kein Unikat mehr, man konnte 100 mal das gleiche Werk herstellen.“ Mit dem Druck fiel der Seitenpreis, so schätzt Müller, um 90 Prozent. Bezeichnend sei, dass, nachdem der Buchdruck nichts Neues mehr war, auch das Interesse an den mittelalterlichen Schriften erlosch. ()


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