Kultur

Aus Zielkes Serie "Glasstillleben" (1929). (Foto: Seidlvilla)

01.04.2011

Vernichtung eines Genies

Eine Ausstellung in der Münchner Seidlvilla über den Fotografen Willy Zielke und die NS-Zeit in Haar

Ungewöhnliche Schwarz-Weiß-Fotografien ziehen den Besucher der Münchner Seidlvilla schon gleich am Eingang an: Diese avantgardistischen Glasstillleben sind zur Internationalen Ausstellung des Werkbundes „Film und Foto“ 1929 in Stuttgart entstanden – sie werden in der Seidlvilla in Zweitabzügen von 1979 präsentiert. An den Informationstafeln erfährt man etwas über den Künstler dieser Werke: Es ist Willy Zielke, ein in Fachkreisen hochgeschätzter Foto- und Filmpionier.
1902 in Lodz als Spross einer deutschstämmigen Familie geboren, wuchs Zielke im Kaukasus auf und studierte in Taschkent Eisenbahn-Ingenieurwesen. Aufgrund antideutscher Maßnahmen musste er aus Russland fliehen und kam nach München. Hier konnte er 1923 ein Studium an der noch jungen Fotoschule beginnen, wurde dort 1927 Lehrer und feierte internationale Triumphe: zunächst als Vertreter der „Neuen Fotografie“ und als Experimentator mit Farbverfahren.
Ab 1931 drehte Zielke die ersten Kurzfilme. Davon beeindruckt, bat ihn der Leiter des Erwerbslosenheims der Firma Maffei, einen Film über die Situation von Menschen zu drehen, die vom Arbeitsprozess ausgeschlossen sind. Die Uraufführung unter dem Titel Arbeitslos – Ein Schicksal von Millionen fand am 3. April 1933 im Atlantik-Filmpalast statt und lenkte die Aufmerksamkeit der Nationalsozialisten auf Zielke. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt beauftragte Rudolf Hess ihn mit der Herstellung eines Propagandafilms über die NS-Arbeitsbeschaffungsprogramme.
Doch Zielke war zu wenig angepasst – der Film wurde unter Verschluss gehalten. Ebenso erging es Zielke mit dem nächsten Filmprojekt Das Stahltier anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Eisenbahn in Deutschland, das er mit einer Wucht und Dynamik inszenierte, die an die Filmsprache des russischen Filmregisseurs Sergei Eisenstein erinnert. Zielke hatte, so der Vorwurf, „die historischen Verdienste der ausländischen Eisenbahnpioniere … über die Gebühr hinaus glorifiziert“.
Eine Kopie des Films ist vorhanden (und wird im Begleitprogramm zur Ausstellung in der Seidlvilla gezeigt), weil Leni Riefenstahl dessen Qualitäten erkannte. Für den Prolog ihres offiziellen Olympiafilms engagierte sie deshalb 1936 Zielke. Doch Riefenstahl wollte dessen Leistungen für sich verbuchen. Es kam zum Streit, Zielke erlitt einen Nervenzusammenbruch.

Falsche Diagnose

Das Schwabinger Krankenhaus verfügte eine Einweisung in die „Heil- und Pflegeanstalt Eglfing“ in Haar. Schizophrenie lautete die Diagnose, die sich nach dem Krieg als Irrtum herausstellen sollte – zu jener Zeit aber einem Todesurteil gleichkam.
Das führt die zweite Sequenz der Ausstellung … wie durchsichtige Schatten … (Zielke-Zitat) exemplarisch vor Augen: Personen mit wirklichen oder angeblichen Erberkrankungen, zu denen auch Schizophrenie zählte, wurden als nutzlos, gefährlich für die eigene „Rasse“, ja „lebensunwert“ verachtet. Sie wurden gemäß Führererlass „Aktion T 4“ vom September 1939 als Patienten registriert – das Morden begann. Am 18. Januar 1940 verließ der erste Transport derart Gezeichneter Haar zu ihrer Ermordung in Gaskammern. Über 2000 Menschen sollten es innerhalb der nächsten 17 Monate sein. Diese Art des Tötens wurde dann eingestellt, weil Angehörige der Opfer protestierten. Fortan sperrte man diese Patienten in „Hungerhäuser“ – oder tötete sie mit Spritzen.
Zielke blieb dieses Schicksal zwar erspart – weil Leni Riefenstahl 1942 einen guten Kameramann für ihren Spielfilm Tiefland benötigte. Doch Zielke war ein gebrochener Mann, sein restliches Leben lang. Entsprechend dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom Juli 1933 war er vor der Entlassung zwangssterilisiert worden.
Zielke starb abgeschieden und nahezu mittellos 1989 in Bad Pyrmont.
Im letzten Teil der kleinen Ausstellung werden Collagen der heute in Haar tätigen Kunsttherapeutin Ilse Merkle gezeigt. In ihnen hat sie die skandalösen Vorgänge in der angeblichen „Heil- und Pflegeanstalt Eglfing“ während der NS-Zeit verarbeitet. (Lothar Altmann)

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