Kultur

Eindringlich und mit kleinen Gesten statt großer Gebärden macht Joachim Vollrath (hier mit Olaf Schürmann) das tragische Sehnen von Elvira beziehungsweise Erwin deutlich. (Foto: Landestheater Niederbayern)

12.03.2021

Verzerrte Liebessehnsucht

Das Landestheater Niederbayern hat einen faszinierenden Film über die Bühnenadaption von Rainer Werner Fassbinders Film „In einem Jahr mit 13 Monden“ gemacht

Elvira hieß früher Erwin, hat sich aber einer Geschlechtsumwandlung unterzogen – einem anderen zuliebe. Jetzt, da ihr späterer Freund Christoph sich von ihr auf reichlich grausame Art trennt, wird es Zeit für Innenansichten: Woher kommt es, dass die Sehnsucht der Elvira nach Zuneigung und Liebe nicht erfüllt wird? Dass die Einsamkeit sie fertigmacht wie eine lebenszerstörende Krankheit?

Das liegt daran, dass die gegenwärtige Ordnung zwischen den Menschen eine eiskalte ist und Zuneigung und Liebe unmöglich macht – so das Argument in Rainer Werner Fassbinders Film In einem Jahr mit 13 Monden aus dem Jahr 1978, den das Landestheater Niederbayern als Bühnenstück zeigt.

Drastische Metaphern

Es geht nicht um Gesellschaftsanalyse, sondern um Psychoanalyse: Alle Figuren erhalten ihre Bedeutung ausschließlich aufgrund ihres Bezugs zu Elvira/Erwin – und sie scheinen eher im Inneren der Heldin zu existieren. Die gesamte Handlung entspinnt sich in der Suche nach emotionalen Wurzeln. Deshalb geht es auch nur am Rand um die Geschlechtsumwandlung und die aufmarschierenden Figuren aus dem Frankfurter Milieu, in dem die Szenerie spielt. Vielmehr geht es um deren Rollen als zum Teil drastische Metaphern für eine innere Entwicklung.

Regisseur Claus Tröger macht das in Landshut deutlich, indem er alles wie einen Albtraum beginnen lässt. Die Spiegeltüren, die sowohl die Bühne (Ausstattung: Erich Uiberlacker) als auch das Spiel bestimmen, haben Zerrspiegel, hinter denen Nachtmahre lauern. Die Musik (von Julius von Madeghem) führt dramatisch in die Welt hinter diesen Türen. „Nicht hinschauen!“, lautet ein Rat am Schluss, und in der Tat lauern überall Elviras Ängste.

Immer wieder erinnert Tröger an die diffuse Halbwirklichkeit der Bilder, die ziemlich genau die Schattenseiten jener zuckrigen Romantik darstellen, in der Liebesgeschichten so oft und so gern präsentiert werden. Stattdessen züchtet diese Romantik unerfüllbare Erwartungshaltungen, Handlungsmuster und Rollenklischees. Wer darin wie Elvira/Erwin Erfüllung sucht, muss scheitern.

Weil wir es hier also offenbar mit der Begegnung eines Menschen mit seinen Mitmenschen als Abbilder einer inneren Wirklichkeit zu tun haben, kommt auch nie ein wirklicher Dialog zustande. Tröger unterstreicht das noch, indem er die Figuren manchmal direkt in die Kamera schauen und sprechen lässt.

Überhaupt kommt das Format, obwohl ursprünglich so nicht gewollt, nämlich ein Film der Bühnenfassung eines Filmes zu sein, den vielfältigen Brechungen des Inhalts durchaus entgegen. Die Handlung ihrerseits wird ja auch eingebettet in eine überpersönliche Legende über das Jahr mit 13 Monden als eine Art Schicksal. Ebenso ist das hier mit dem Kern des Ichs: Es ist in einer Schachtel in einer Schachtel in einer Schachtel…

Moderne Form der Tragödie

Im Zentrum des Stückes steht klar und beeindruckend das Spiel von Joachim Vollrath. Wie er diese große Trauer und dieses große Bedürfnis der Elvira darstellt, ganz ohne große Geste, nur mit der kleinen Gebärde, nur mit dem mal sehnsüchtigen, mal erschrockenen Blick auf etwas, das andauernd im Draußen dräut, ein bisschen Hoffnung sein soll und trotzdem permanent wehtut, zieht die Zuschauerinnen und Zuschauer ganz auf seine Seite. Alle anderen agieren auf ihn hin, und je weniger naturalistisch sie dabei spielen, desto dichter kommen sie an die Spielanordnung heran.
Eine Filmadaption als moderne Form der Tragödie. Zu sehen ist die Inszenierung seit der Streaming-Premiere in der Mediathek des Landestheaters Niederbayern. (Christian Muggenthaler)

Information: In der Mediathek unter: www.landestheater-niederbayern.de/content/mediathek

 

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